Korrekturen am Gorki-Theater: Geschichte findet am Küchentisch statt

Die Ungereimtheiten der ehemals neuen, der schon wieder alten und vielleicht überhaupt jeder Gesellschaft: Das Berliner Maxim-Gorki-Theater begeht mit dem Spektakel "Korrekturen" das Gedenkjahr 2009.

Das Maxim-Gorki-Theater in Berlin-Mitte. Bild: ap

Das Jahr ist noch nicht alt, doch das Bombastical, welches das Supergedenkjahr 2009 zu werden droht, zeichnet sich schon allenthalben ab. Dass am 9. November weniger der Pogromnacht und der Ausrufung der Weimarer Republik gedacht werden wird, ist offensichtlich; doch im Jahr 2009 geht es nicht nur um den Beginn der Auflösung von BRD und DDR in ein neu-altes Gesamtdeutschland vor 20, sondern auch um beider Gründung vor 60 Jahren. Dem Zusammenfallen dieser drei Jubiläen widmete sich am vergangenen Wochenende das Festival "Korrekturen. Die Geschichte ist nicht zu Ende", mit dem das Maxim Gorki Theater in Berlin-Mitte sein Gedenkjahr einläutete.

Vorab las man überall in der Stadt den allzu werberdeutschen Spruch "Du bist Geschichte", mit dem die Theaterleitung zu dem "Spektakel", wie sie es selbst nannte, locken wollte. Die Rechnung ging auf, am Samstag, an dem man zwischen zehn Stücken, Filmen oder szenischen Lesungen und einem Manfred-Krug-Liederabend wählen konnte, war das kleine Haus, das sehr symbolträchtig hinter der Neuen Wache versteckt liegt, gänzlich überfüllt.

Ost traf auf West. Das dem Wochenende seinen Titel leihende Stück "Korrekturen" von Heiner und Inge Müller wurde von Petras in einer szenischen Lesung eingerichtet, wobei "szenische Lesung" wohl verbergen sollte, dass das Stück eben nur einmal zu einer improvisierten Aufführung kommen sollte, auf dem Parkplatz des Theaters. In den besten Szenen des Stückes vergaß man beinahe, dass Petras, der auch diese Lesung eingerichtet hatte, kaum Zeit für die Proben hatte.

In den "Korrekturen" hat das damalige Ehepaar Müller Konflikte im Kombinat Schwarze Pumpe nachgezeichnet, Männer gegen Frauen, Kommunisten gegen alte Nazis, dumme Dinger gegen alte Narren, Intellektuelle gegen Proleten. Das Stück endet mit einem faulen Kompromiss, der aber pragmatisch ist und "der Sache" dient.

Diese "Korrekturen", in denen die Ungereimtheiten in der "neuen Gesellschaft" zur Sprache kommen, wurden von dem älteren Publikum mit wohlwollendem Gelächter bedacht. Geradezu symbolisch war eine Szene kurz vor Beginn der Lesung, als sich eine Dame einen Betonklumpen von der improvisierten Baulandschaftsbühne stahl, um sich darauf setzen zu können. "Hey, Volkseigentum!", rief einer der Schauspieler lachend, woraufhin die resolute Dame ebenfalls lachend erwiderte: "Wieso, das ham wir doch immer so gemacht!"

Dieses beiderseitige Wissen um die Zustände in der DDR zeigte des Problem des Spektakels. In den Filmen "Brinkmanns Zorn" oder "Das Treibhaus" sieht man Individuen an den gesellschaftlichen Verhältnissen leiden, Letztere spiegeln sich aber nur im Leid des Individuums und sind selbst nur am Rande Thema. Trafen in der beeindruckenden szenischen Lesung aus Uwe Johnsons "Zwei Ansichten" noch die Ost- und der Westdeutsche aufeinander und wussten, dass sie sich nicht mehr recht verstehen können, wurde in der Lesung aus Kempowskis "Echolot" und in der aus "Briefen über die Mauer" noch das Individuum pars pro toto genommen, so blieb in Horst Freunds "Wir sind Hartz IV" nur noch das Individuum übrig. Dessen von den Gorki-Schauspielern ebenso charmant wie routiniert vorgetragener Kampf mit der bürokratisierten Lebensunterhaltsbeschaffung hätte auch in Israel oder auf Kuba spielen können, wären nur wenige Formulierungen verändert worden.

Noch schlimmer beim extra für dieses Spektakel verfassten Stück "Korrekturen 09" von Thomas Freyer; die geschichtlichen Veränderungen wurden vom Autor hinein in den Körper eines Workaholics und in die Familie verlagert. Gesellschaft findet bei Freyer nur noch "bei Oma", "im Zimmer" oder "am Küchentisch" statt. Konsequenterweise lautete das letzte Wort der Uraufführung "ich". Um "die Sache" geht es nicht mehr. Auch ist, dem Titel zum Trotz, nichts mehr zu korrigieren. Die gesellschaftliche Befindlichkeit ist eine Angelegenheit der Psychologen oder Animatoren geworden. Bei Freyer war es ein Vibrafon, das das Stück mit Begleitmusik untermalte; Seelenkonflikte plus Musik ergeben eine Ablenkung vom Eigentlichen.

Das Eigentliche schließlich, die Geschichte und das "Du" darin, das die Plakate für das Spektakel doch so eindringlich bewarben, schien noch mal in Petras wiederaufgenommener Inszenierung "heaven (zu tristan)" nach. Das von Petras unter seinem Pseudonym Fritz Kater verfasste Stück spielt in Wolfen, einer Stadt, die ohne Arbeit, ohne Zukunft und ohne Glück ist. "Eine Mauer geht durch die Generationen" stellt der Psychiater Königsforst fest, und tatsächlich schien die im Stück immer wieder eingesetzte Nazi-Rockmusik eher auf die Jüngeren zu zielen, während die Sozialismusanspielungen das ältere Publikum erfreuten. Beide Seiten verstanden einander nicht wirklich, lediglich die kitschigeren Passagen, die sich in die tolle, doch etwas langwierige Inszenierung eingeschlichen hatten, erfreuten beide Generationen und Ost- wie Westdeutsche. Mit diesen in Dialog zu treten, auch die Frauen aus der ewigen Dummchenrolle zu befreien gelang an diesem Wochenende aber nicht. Korrekturen sind weiterhin vonnöten, wenn nicht "die Sache" selbst neu gedacht werden will.

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