Stuttgarter Wagenhallen: Ade, du heimeliges Stuttgart!

Vor dem Megaprojekt Stuttgart 21, dem Bahnhofsneubau, fürchtet sich auch die schwäbische Subkulturszene. Am Wochenende feierte sie in den Wagenhallen am Nordbahnhof ihren Fortbestand bis 2010.

Der Hauptbahnhof in Stuttgart. Bild: dpa

Ein Hoch auf die Nische - die Stuttgarter Wagenhallen feiern zwei weitere Jahre Kulturbetrieb Wenn man die zentrale Stuttgarter Ausgehmeile, die Theodor-Heuss-Straße, entlangschlendert, reiht sich eine Bar an die nächste. Vor allem die großen Fenster fallen ins Auge, die von außen wie Schaufenster wirken und den Blick auf die modernistische Einrichtung freigeben, die sich im Innern der Bars ein ums andere Mal wiederholt. Vielleicht ist dies auch ein Grund dafür, dass auch manchen der dortigen Besucher bisweilen etwas Schaufensterpuppenhaftes anzuhaften scheint.

Schön also, dass es in Stuttgart noch andere Kulturorte gibt, die weniger glatt gekämmt anmuten. Die Wagenhallen am Nordbahnhof zum Beispiel, die sich schon in ihrer Topografie deutlich unterscheiden. In dem Backsteingebäude und den angrenzenden Bauten teilen sich Ateliers, Proberäume, Werkstätten und das Café Hinterland den Platz. Die Wagenhallen liegen inmitten einer Brache, die teilweise als Parkplatz dient, auf der aber auch Reste vergangener Freiluftausstellungen langsam verwittern. Einzelne Skulpturen, liegen gebliebene Werkstücke, Rohmaterialien, Bauschutt und eine Feuerstelle erinnern an eine große Spielwiese.

Der (Sub-)Kulturbetrieb ist allerdings nicht ungefährdet: Mittelfristig droht der Bau von Stuttgart 21, dem umstrittenen Bahnhofsneu- und -ausbau. Erste Vorboten sind anstehende Baumaßnahmen für eine Fernwärmeleitung. Dass nun seit Kurzem feststeht, dass der Fortbestand zumindest bis Ende 2010 gesichert ist, war dennoch ein Grund, zu feiern. Für Freitagabend luden die Künstler aus den Wagenhallen zu einem Fest, Motto "Es geht weiter".

Es herrscht Wohnzimmeratmosphäre. Vor der Bühne sind Sitzlandschaften aus zusammengewürfelten alten Sofas zusammengestellt, in denen es sich das Publikums gemütlich macht, um der Live-Performance zuzuschauen. Ein Film zeigt in Endlos-Loops Stop-Motion-Szenen von Tänzern, die sich in ausgefallenen Dance Moves versuchen. Das Konzert wirkt autistisch: Eine Frau und ein Mann stehen monadisch auf der Bühne und scheinen weder sich noch das Publikum wahrzunehmen. Sie wenden sich gegenseitig den Rücken zu, Blickkontakt verboten. Die Sängerin M.O.M.I. singt in sich versunken zu wummernden und knarzenden Beats, während ihr Begleiter sich langsam ruckelnd im Rhythmus bewegt.

Auch später, als der Raum sich füllt und die Leute sich stehend um die Sofas gruppieren, bleibt die Stimmung eher privat: Nach ihren Auftritten mischen sich die Künstler wieder unter das Publikum, setzen sich zu ihren Freunden und sehen sich die anderen Gigs an.

Nach M.O.M.I. kommt Kate Complikate, die allein auf der Bühne steht und ihren Gesang mit Halbplayback unterlegt. Anders als der Name nahelegt, ist die Musik durchaus eingängiger Pop mit leichten elektronischen Anklängen. Als Electropop könnte man auch das Repertoire der nächsten Sängerin charakterisieren, AnnA, die von ihrem Bandkollegen mit einem Laptop unterstützt wird. Nach und nach kommt im Publikum Bewegung auf, erst langsames Mitwippen, das irgendwann in Tanzbewegungen übergeht. Ein junger, nicht mehr ganz nüchterner Mann - der erklärt, dass er Nichtraucher ist - schnorrt Zigaretten, um sie sich hinter die Ohren zu stecken, weil ihm nicht gefällt, dass sie so eng anliegen. Einige andere diskutieren über die Sinntiefe der vorgetragenen Songtexte.

Das letzte Konzert bestreitet die Band Dub in a Nutshell mit langsamen, sphärischen Electro-Dub-Stücken, bevor sie den Platz räumen für den Auftritt der Gauklertruppe Lichtarello. Mit einem Feuertanz heizt diese den Zuschauern noch einmal ein, Fackeln werden zu Schlag- oder Trommelstöcken, die den Abend mit Paukenschlägen beenden und kämpferisch formulieren: Das Programm in den Wagenhallen geht weiter. Zumindest vorerst.

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