Drei Bilder einer Ausstellung

Der Minimalismus von „Rothko/Giotto“ in der Berliner Gemäldegalerie könnte, besser sollte Schule machen

Kommt dieser Schau in der Berliner Gemäldegalerie, die aus gerade mal drei Bildern besteht – einem Rothko und zwei Giottos, die sich ohnehin im Besitz der Preußenstiftung befinden – womöglich Modellcharakter zu? Denn mit der Logik des immer mehr, der auch die Stiftung zuletzt mit ihren Meldungen über mehr Besucher, mehr Einnahmen, immer größere Ausstellungen und ein immer pompöseres Marketing huldigte, wird es in Zeiten der Finanzkrise wohl nicht weitergehen. Im Haushalt der Stiftung fehlen knapp 26 Millionen für das Jahr 2009. Jetzt heißt es wieder: Weniger ist mehr.

Es braucht also gar nicht 250 Werke wie beim „Universum Klee“, der letzten Blockbuster-Ausstellung aus der Ära des alten Generaldirektors Peter-Klaus Schuster, die in derselben Woche schloss, als „Rothko/Giotto“ eröffnete, und auch nicht 70 Bilder wie bei der großen in Hamburg und München im letzten Jahr gezeigten Rothko-Retrospektive, damit der Kurator Stefan Weppelmann sein Anliegen vermitteln kann. Als besondere Sensation wertet man dabei stiftungsintern, dass der Rothko ja eigentlich zum Bestand der benachbarten Neuen Nationalgalerie gehört und nun das in Beton gegossene Kästchendenken nach nationalen wie epochalen „Schulen“ in der Gemäldegalerie wenigstens gedanklich durchbricht. Bezeichnenderweise ist Rothkos „#5“ von 1961 und die beiden ihn flankierenden, eher kleinformatigen Giottos ein eigens gezimmerter kleiner Andachtsraum vorbehalten. Das Kabuff scheint zu sagen: Siehe, ich stehe außerhalb der festgefügten Ordnung.

Für den Besucher hat die intime Abgeschiedenheit in diesem Separee den Vorteil, einmal stille Zwiesprache mit den Bildern halten zu können. Und das wäre ganz im Sinne von Rothko wie von Giotto gewesen. Beide, und das macht den Sinn dieser auf den ersten Blick so ungleichen Paarung aus, ging es um Spiritualität. Auch wenn der 1903 im lettischen, damals zu Russland gehörenden Daugavpils geborene Maler ein Jude war, so malt er doch in seiner völlig gegenstandsfreien Farbfeldmalerei seit den Fünfzigerjahren so etwas wie Andachtsbilder, jüdische Ikonen, könnte man sagen. Auf Rothkos Gemälden agiert die Farbe als Körper, sie soll den Betrachter packen und in transzendente Sphären führen, ganz ähnlich wie die Heiligenfiguren auf den Bilder von Giotto das Publikum ergreifen und es mitfühlen lassen wollen. Etwa bei der „Kreuzigung Christi“ (circa 1315) links oder beim „Marientod“ (circa 1310) rechts neben dem rot-glühenden Farbkörper Rothkos. Waren die Heiligen in der mittelalterlichen Malerei Italiens bis dahin eher byzantinisch-stilisiert dargestellt worden, so gibt ihnen Giotto Individualität und Lebendigkeit. Beides nahm auch Rothko für seine Farbgemälde in Anspruch.

Nicht zufällig war er zu den Giotto-Fresken in Assisi und Padua gereist und hatte sich darüber schriftlich ausgelassen. In einer seiner letzten Äußerungen vor seinem Freitod im Jahr 1970 nannte Rothko als Inhalte seiner Bilder „Dramatik, Tragik und die Beschäftigung mit dem Tod“. All das findet sich nun in den Szenen des Meisters des frühen des 14. Jahrhunderts in praller Anschaulichkeit.

Hier wirken nicht mehr nur mittelalterlich-statische Figurenchiffren, sondern es gibt Mimik, Gestik und den Ausdruck von Hingabe und Trauer. Aber auch formal, in Komposition und Umgang mit der Farbe, konnte Rothko bei Giotto etwas Korrespondierendes finden. Die in ihren sackartigen Kleidern agierenden Figuren auf dem Goldgrund bei Giotto wirken tatsächlich, als hätten sie komprimiert und abstrahiert in die Bilddramaturgie des amerikanischen Malers Eingang gefunden.

Das minimalistische Setting in der Gemäldegalerie lädt deutlich zum eingehenden Vergleich ein, da brauchte es den Firlefanz eines eigens zur Ausstellung bereitgestellten Videoguides im iPhone-Format nicht. Ein wenig Text an der Außenseite des Ausstellungsraums hätte gereicht. Dennoch, die kleine Ausstellung hat das Zeug dazu, exemplarisch aufzuzeigen, was passiert, wenn man die großartigen Kunstwerke der Staatlichen Museen aus ihrer Einsargung in Tradition und Konvention befreit. Plötzlich werden die Sammlungen zu einer ungeheueren Ressource, die neu zu sprechen beginnt. „Rothko/Giotto“ jedenfalls zeigt, wie sich mit ein wenig neuer Kombinatorik in der Präsentation ein Feuerwerk neuer Erkenntnisfunken zünden lässt.

RONALD BERG

Bis 3. Mai, Gemäldegalerie, Berlin