Simon Starlings Installationen: Unterwegs mit Kettensäge

Kunst, die im Grunde genommen wie das Klicken durch Wikipedia funktioniert: Die Installationen von Simon Starling in der Temporären Kunsthalle Berlin erzählen von Energiekreisläufen.

Den Motorblock des roten Volvo 240 Kombi hat Simon Starling in der Kunsthalle aufgebaut. Bild: temporäre kunsthalle berlin/jens ziehe

An der Außenseite der Temporären Kunsthalle in Berlin, dort wo der himmelblaue Kasten an den Spreekanal grenzt, steht ein roter Volvo Kombi. Ein roh gezimmertes Podest verrät sofort, dass der Wagen nicht nur zufällig dort abgestellt wurde. Diverse Rohre laufen unter der Karosse hervor, hinein in das Innere des Ausstellungsraumes, und verstärken den Eindruck des Statischen. Obwohl das Auto nicht läuft, riecht es nach Abgasen. Schwarzes Kondensat tropft vom Auspuff auf das frisch gezimmerte Podestholz.

Die Lösung des Rätsels findet sich im Inneren der Ausstellungsbox, in der drei Installationen des britischen Künstlers Simon Starling zu sehen sind. Der Turner-Preisträger von 2005 hat den Volvo-Motor in den Ausstellungsraum verlegt, ohne die Verbindung mit dem Kombi vor der Halle zu kappen. Meterlang laufen die Rohre für Treibstoff, Abgase und Kühlwasser durch den Raum, um schließlich am respekteinflößenden Motorblock zu enden, der niedrigtourig vor sich hin tuckert. Die so umständlich produzierte Wärme stellt die notwendigen klimatischen Bedingungen für einen riesigen Kaktus her, den Starling im Jahre 2002 für eine Ausstellung mit ebendiesem roten Volvo aus Spanien nach Frankfurt ins dortige Portikus-Museum holte.

An "Kakteenhaus" (2002) kann man gut erkennen, dass Starlings Kunst im Grunde wie das Klicken durch Wikipedia funktioniert: hinter jedem Begriff, hinter jedem Ding lauert eine Information, die wiederum zu weiteren, immer spezifischeren Informationen führt - bis man irgendwann vergessen hat, wonach man eigentlich suchen wollte. So erfährt man in Berlin, dass die andalusische Tabernas-Wüste, in der der Brite einst den Kaktus ausbuddelte, früher als Kulisse für Sergio Leones Spagetti-Western diente, während sie heute wegen fortschreitender Versteppung eher den Stoff für einen Klima-Thriller liefert. Auch die Kakteensorte war dort einst gar nicht heimisch, sondern wurde von den Filmleuten in die Landschaft gesetzt.

Nun ist die Pflanzen-Maschine auf Initiative des Kurators Julian Heynen, dem künstlerischen Leiter der Düsseldorfer K21, der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in der Berliner Temporären Kunsthalle gelandet, ebenso wie der "Plant Room" (2008), den Starling im letzten Jahr für den österreichischen Kunstraum Dornbirn konzipiert und installiert hatte. Die dortigen Museumsleute hatten dem Künstler vorab mitgeteilt, dass man in der ehemaligen Montagehalle alles zeigen könne außer Fotografie, da das Klima nicht den geforderten Museumsanforderungen entspräche. Worauf Starling einen archaisch anmutenden Lehmziegelbau errichten ließ, mit moderner Klimatechnik ausstattete und anschließend in dessen Innerem acht wertvolle Pflanzen-Fotografien von Karl Blossfeldt präsentierte.

Gerade das Wissen um das Spiel mit dem Ort, das bei Starling oft in verblüffende Lösungen und verführerische Kunst mündet, lässt seine erste große Berliner Ausstellung brav und müde wirken. Ja, das Lehmhaus ist fantastisch und die Hitze des Motorblocks weckt Ehrfurcht vor der Technik, doch erdacht hat sie der Künstler für andere Situationen als die cleane Halle an der Spree. Was nützt die größte installative Finesse, wenn sich der Bezug zum Ausstellungskontext nur noch mit einigen Verrenkungen herstellen lässt?

Natürlich bedürfte es an einem Ort wie der nagelneuen Kunsthalle nicht eines alten Volvo-Motors, um einen Kaktus am Leben zu halten, der mittlerweile selbst die Maße des Kombis sprengt, mit dem er einst nach Deutschland kam. Anstatt sich also Gedanken über Energiekreisläufe und die Fragilität von Ökosystemen zu machen, denkt man über das Verfallsdatum und die Transferverluste von ortsspezifischer Installationskunst nach.

Denn es ist nicht einsichtig, warum sich Künstler und Kurator gerade hier, an exponierter Stelle, in bereits Erreichtes flüchten. Oder soll man die sich gegenseitig bedingenden Wärme- und Kältekreisläufe von "Plant Room" und "Kakteenhaus" als Statement zum rauen Klima auf dem Berliner Schlossplatz machen, über den eisige Böen wehen, seit die letzten Reste des ehemaligen Palasts der Republik verschwunden sind? Die Vermutung liegt nahe, dass die Historizität der "Historischen Mitte", die von Politik und Stadtgeschichtsvereinen gerade hinsichtlich des Schlossplatzes immer wieder beschworen wird, auch etwas Lähmendes in sich trägt.

Darauf deutet "Under Lime" (2009) hin, die einzige neue Arbeit Starlings, mit der der Künstler auch den Ort der Kunsthalle direkt einbezieht. Unterstützt vom städtischen Grünflächenamt sägte der Künstler einen Ast von einem Lindenbaum am Berliner Prachtboulevard ab und befestigte ihn anschließend unter der neun Meter hohen Decke der Kunsthalle. Wie ein deplatziertes Souvenir kündet er nun von der Straße da draußen, die hier drinnen keine weitere Rolle spielt. Auch der Flaschenzug, der daneben baumelt, seitdem er Starling zu Montagezwecken unter die Decke hievte, hilft nicht weiter. Gibt es wirklich nichts anderes als einen Lindenast, der sich einem in den Weg stellt, - wenn man schon mal mit einer Kettensäge Unter den Linden entlangschlendert?

Bis 18. März, Temporäre Kunsthalle, Berlin, Katalog (Buchhandlung Walter König) 28 €

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