Sediert in den Aufstiegskampf

Was kann, was darf Satire? Diese Frage wird in Hamburg anhand des Online-Spiels Pennergame durchdiskutiert. Während die Betreiber meinen, dass das Spiel die Wirklichkeit nicht abbilden wolle, sehen Kritiker eine Verächtlichmachung von Obdachlosen

Die SPD-Abgeordnete Ksenija Bekeris will das Spiel wegen „menschenverachtender Ausrichtung“ verbieten lassen

VON SEBASTIAN BRONST

Pennergame. Schon der Name des Computerspiels weckt bei Birgit Müller unschöne Assoziationen. „Was ist denn ein Penner?“, fragt die Chefredakteurin des Straßenmagazins Hinz & Kunzt und liefert die Antwort gleich mit: „In vielen Fällen Idiot und im schlimmsten Fall Abschaum. Da werden Vorurteile geschürt, die wir für längst überwunden gehalten haben.“

Mit ihrer Meinung steht die Obdachlosen-Lobbyistin nicht allein da. In Hamburg erregt ein Computerspiel die Gemüter, das den Aufstieg aus der Wohnungslosigkeit in einer Form simuliert, die Kritiker für zynisch halten. Die Erfinder des Spiels sind zwei 20-Jährige aus Hamburg: Marius Follert und Niels Wieldung. Als sich der Erfolg von Pennergame abzeichnete, ging Wildung vom Gymnasium ab, Marius Follert unterbrach seine Ausbildung zum Screendesigner.

Das Ziel bei Pennergame besteht darin, sich virtuell aus der Gosse hochzuarbeiten. Mit Geschick und Glück, mit kleinen Verbrechen, dem Ausrichten von Haustierkämpfen und Bandenbildung kann man es vom „untalentierten Penner am Hauptbahnhof“ bis zum „Bettelmonopolisten“ und Schlossbesitzer an der Elbchaussee bringen, wie es auf der Betreiber-Homepage heißt. Rund 1,2 Millionen Menschen sind als Teilnehmer registriert.

Wer sich als Penner ins Spielgeschehen wirft, braucht zunächst Alkohol. „Du hast schlechte Laune und bist aggressiv“, steht zur Begrüßung in alarmierend roter Schrift auf dem Bildschirm. Haben Billigbier oder Glühwein aus dem virtuellen Supermarkt für Abhilfe gesorgt, kann man sich sediert in den Kampf um den sozialen Aufstieg wagen. Anfangs bleibt einem kaum mehr als Flaschensammeln, um seinen Pappbecher mit Barem zu füllen. Doch mit wachsendem Einkommen lassen sich immer innovativere Verdienstmöglichkeiten nutzen: Der Spieler kann Haustiere kaufen und für Kunststücke abrichten, sich professionell zum Taschendieb weiterbilden, bewaffnet um „Schnorrplätze“ kämpfen – oder er schließt sich mit anderen Spielern zu einer Bande zusammen.

Pennergame kann ohne großen technischen Aufwand auf jedem Computer mit Internetzugang, ja sogar auf dem Handy gespielt werden. Obwohl es erst seit Juli 2008 auf dem Markt ist, verzeichnen die Betreiber eine Milliarde Seitenabrufe pro Monat. Damit gehört die Pennergame-Seite zu den schätzungsweise 60 bis 70 populärsten deutschen Internetseiten. Und das ohne Werbung. „Virales Marketing“ heißt das Zauberwort: Viele Spieler kennen sich, jeder Nutzer macht Pennergame potenziell für weitere interessant. Ganze Schulklassen und Firmenabteilungen treten bei Pennergame online gegeneinander an.

Dieser „Community-Effekt“ mache das Spiel erfolgreich, sagt Steffen Peuckert, bei der Betreiberfirma Farbflut zuständig für die Spielerbetreuung. Peukert, 27, ist ein schlaksiger Typ mit modischer Brille. In einem kahlen Souterrain-Büro in Hamburg Harvestehude sitzt er zwischen verwaisten Flachbildschirmen und vertritt als einziger Festangestellter seine vielbeschäftigten Chefs. Die nehmen, wie oft in letzter Zeit, auswärtige Termine wahr – wo, weiß auch Peuckert gerade nicht so genau. „Das ist Startup, das gehört wohl dazu.“

Darf man die existenzielle Not von Obdachlosen als Vorlage für ein Strategiespiel nutzen – noch dazu auf eine Art, die Kritiker für demonstrativ-herablassend halten? Erkauft das aufstrebende Erfolgsspiel aus Hamburg, zu dem sich Follert und Wieldung angeblich durch eigene Erlebnisse auf dem Kiez inspirieren ließen, seinen Erfolg mit herabwürdigenden oder gar menschenverachtenden Klischees?

Für Hinz & Kunzt-Chefredakteurin Müller steht das außer Frage. Vor allem die pauschale Gleichsetzung von Obdachlosigkeit, Gewalt und Kriminalität mache sie wütend. Zwar gebe es auch Wohnungslose, die Pennergame lustig fänden und spielten, sagt die Mitbegründerin des Obdachlosenprojekts. Man habe das Thema durchaus sehr „kontrovers diskutiert“, sei sich in der Bewertung aber am Ende weitgehend einig gewesen: „Wir lehnen das kategorisch ab.“

Dabei würde niemand den jungen Pennergame-Chefs bösen Willen unterstellen. Diese seien persönlich sogar ausgesprochen sympathisch, meint Müller, die beide aus einem Gespräch kennt. Aus der Haftung für ihr Produkt und seine Wirkung will sie die beiden trotzdem nicht entlassen.

Mit kleinen Verbrechen kann man es vom „untalentierten Penner am Hauptbahnhof“ bis zum „Bettelmonopolisten“ bringen

Die Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ksenija Bekeris regte schon im vergangenen Jahr an, das Spiel wegen „menschenverachtender Ausrichtung“ vom Markt zu nehmen. Nach wie vor halte sie Pennergame für gefährlich, sagt die Politikerin, die in ihrer Fraktion für Obdachlosenpolitik zuständig ist. Dass sich ein Computerspiel mit dem Leben von Wohnungslosen befasst, hält sie nicht „per se“ für falsch. Aber die Aufbereitung des Themas bei Pennergame, die Darstellung der Betroffenen sei unakzeptabel und unwürdig: „Auf diese Art ist es wirklich herablassend. Es sensibilisiert nicht für ein Thema, sondern schürt Vorurteile.“

Auch die Medienanstalt für Hamburg und Schleswig-Holstein ist hellhörig geworden. Man sei keinesfalls begeistert von dem Spiel, erläutert Sprecherin Claudia Neumann. Zwar ist nicht zwangsläufig illegal, was gegen den guten Geschmack verstößt. Aber die norddeutsche Kontrollbehörde ist nach eigenen Angaben ernsthaft darüber besorgt, dass Jugendliche beim Spielen von Pennergame negative Klischees „verinnerlichen“ könnten. Ihr Leiter steht daher mit den Betreibern in Kontakt. „Es ist ein schmaler Grat“, sagt Neumann. Man dränge auf Änderungen aus Jugendschutzgründen. „Es ist etwas in Bewegung“, ergänzt die Sprecherin. Die Betreiber seien alles andere als beratungsresistent. Worüber man genau redet, will sie allerdings nicht sagen.

Spielerbetreuer Peuckert, selbst studierter Sozialwissenschaftler und Germanist, sagt, man sei sich darüber im Klaren, dass das Thema gesellschaftspolitisch heikel sei und dass sich das Spiel angreifbar mache. „Klar arbeiten wir da auch mit Klischees.“ Man suche das Gespräch mit der Medienanstalt und anderen Kritikern, um für mehr Verständnis zu werben. Pennergame nutze das Thema Obdachlosigkeit als Folie für ein realitätsnahes Online-Strategiespiel. Es gehe aber nicht darum, die Wirklichkeit abzubilden. Das Ganze sei „in einem sehr satirischen Kontext“ zu sehen.

Das Problem sei wohl, dass das akzeptable Maß an humoristischer Überzeichnung bei einem derart ernsten Thema „von verschiedenen Leuten unterschiedlich wahrgenommen wird“, resümiert Peuckert. Und zumindest in diesem Punkt pflichten ihm auch die ärgsten Kritiker bei. „Wir“, sagt SPD-Obdachlosenexpertin Bekeris, „sind eben grundsätzlich unterschiedlicher Meinung.“