Am Ende der Zahlen

Hanne Darboven, die Grande Dame der Konzeptkunst, starb mit 67 Jahren. Die Kompromisslosigkeit ihrer Konzepte brachte und bewahrte ihr Anerkennung

Eine kleine zierliche Frau, war sie doch eine ausgesprochen markante Erscheinung, mit ihrem Kurzhaarschnitt und ihren androgyn geschnittenen, reverslosen Anzügen und ihrer von Buttons statt Orden übersäten Weste. Ihr Bild blieb im Gedächtnis haften. Der Eindruck des militärisch Akkuraten in ihrem persönlichen Auftreten korrespondierte unmittelbar mit der Systematik ihres künstlerischen Werks. Ganz entgegen ihrem Ziel, sich mit ihrem Werk radikal jeder personifizierenden Kunstinterpretation zu verweigern.

Hanne Darboven begann ihren Arbeitstag morgens um vier Uhr. Bis zur Mittagspause entstanden ihre berühmten Kompositionen endloser Zahlenkolonnen, die sich aus den unterschiedlichsten Rechenoperationen, etwa mit Kalenderdaten oder musikalischen Notationen, ergaben. Danach erledigte Hanne Darboven die Öffentlichkeitsarbeit und sonstige Managementaufgaben. Darboven war stolz darauf, so wird sie zitiert, im Sinne von „Arbeit, Gewissen, Pflichterfüllung kein schlechterer Arbeiter als jemand (zu sein), der ein Straße baut“.

Allerdings, Hanne Darboven baute nicht einfach nur eine Straße. Sie entwarf nicht weniger als die grandiosen Sichtachse einer veritablen Allee. Denn die an sich bescheidenen Blätter, auf denen sie ihre Zahlenkaskaden notierte, summierten sich am Ende doch zu einer von großem Pathos geprägten Geste. Denkt man etwa an ihre Arbeit auf der documenta 11 im Fridericianum in Kassel, ist eine Rauminstallation von physisch geradezu erdrückenden und einschüchternden Ausmaßen erinnerlich.

Dabei bestand die 1941 in München als Tochter einer Hamburger Kaffeerösterdynastie geborene Künstlerin darauf, dass ihre Zahlen auf keine andere Realität jenseits ihrer jeweiligen Konstruktionsformel verweisen. „Ich arbeite nur mit Zahlen, weil sich mit ihnen schreiben lässt, ohne zu beschreiben“, sagte sie einmal und betonte, das habe mit Mathematik nichts zu tun. „Ich wähle Zahlen, weil sie so konstant sind, so klar umrissen und künstlerisch.“

Statt mit Mathematik hatte ihre Kunst viel mit der Concept und Minimal Art ihrer Künstlerkollegen Sol LeWitt oder Carl André zu tun; mit der künstlerischen Reaktion auf die industrielle, modulare Moderne abstrakter Systeme. Sol LeWitt, André, Donald Judd und anderen Minimal- und Concept-Art-Künstlern war sie Ende der 60er-Jahre in New York begegnet, wohin sie nach ihrem Studium an der Hamburger Kunsthochschule gegangen war. Dort knüpfte sie auch Kontakte zu Leo Castelli, der in seiner Galerie Künstler wie Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Donald Judd, Frank Stella und eben auch Andy Warhol vertrat, mit denen er spätestens Anfang der 70er-Jahre zu Ruhm kam. Zu dieser Zeit organisierte er auch Hanne Darbovens erste New Yorker Einzelausstellung 1973 in seinen Räumen.

Obwohl Darboven glaubte, mit ihren emotionslosen Rechenexempeln den Kult des Künstlers nicht zu bedienen, war sie dank der Kompromisslosigkeit ihres Kunstkonzepts ausgesprochen markenfähig und eine der wenigen Künstlerinnen, die schon zu Beginn ihrer Karriere auf Anerkennung in der sonst männlich definierten Kunstwelt stieß. Kühl, sachlich und gut organisiert achtete sie darauf, dass ihr diese Anerkennung erhalten blieb, übrigens auch dadurch, dass sie dafür sorgte, darum so wenig Aufhebens wie möglich zu machen.

Selbst eine Künstlerikone war ihre Reserve hinsichtlich dieser Figur durchaus echt, wie etwa ihre blasphemische „Hommage à Picasso“ in den 90er-Jahren noch einmal deutlich zeigte. Erneut trumpfte sie mit einem gigantischen Zahlenwerk, das nur zu so bestechenden Gleichungen wie 23 + 7+ 9 + 1= 40 führte, gegenüber dem Subjektivismus des Meisters auf. Sie zitierte sein Werk in Reproduktionen, die sie mit folkloristischem Kunsthandwerk kombinierte.

Glücklicherweise konnte sie auch böse sein und damit die sich selbst auferlegte Diszipliniertheit überschreiten, die Askese hinter sich lassen, gegenüber den sinnlichen und emotionalen Aspekten der Kunst und des Lebens. Auch das zeichnet sie als große Künstlerin aus. Am Montag bereits ist Hanne Darboven in Rönneberg bei Hamburg im Alter von 67 Jahren gestorben.

BRIGITTE WERNEBURG