Künstlersprechstunde

Im Haus am Waldsee bezogen ein Kunsthistoriker und Barockforscher, ein Mediziner und der prominente Maler Norbert Bisky je aus ihrem Blickwinkel Stellung zum Werk von Clemens Krauss

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Die Mischung der hochkarätigen Teilnehmer eines kleinen Symposiums, das letzten Sonntag im Haus am Waldsee stattfand, klang nach einem vielversprechenden Aufgebot. Interdisziplinär sollten ein Kunsthistoriker und Barockforscher, ein Mediziner und der prominente Maler Norbert Bisky aus ihrem Blickwinkel zum Werk von Clemens Krauss Stellung beziehen.

Die kunstbegeisterte Schar wurde nicht, wie bei solchen Veranstaltungen allgemein üblich, mit langen Stuhlreihen empfangen, sondern vorerst dazu aufgefordert, sich vom Künstler höchstpersönlich durch die Ausstellung führen zu lassen. Mag die Masse der interessierten Menschen Krauss für einen Augenblick verhalten gestimmt haben, so ging er nach ein paar Sätzen ganz in der Rolle des versierten Vermittlers auf.

Ohne Auslassungen wurde die gesamte Ausstellung mit der Gefolgschaft begangen und besprochen. Selbst in sein Schlafzimmer, das er für die Zeit der Show von Prenzlauer Berg in das Berliner Landhaus verlegt hat, lockte er die Fremden. Es gehört zum Konzept von „Aufwachen“, dass der 30-Jährige das internationale Ausstellungshaus, ein ehemaliges Privathaus, das seit 1946 zu den ersten Ausstellungshäusern für zeitgenössische Kunst in Deutschland zählt, heute wieder zum Wohnhaus erweckt.

In seinem Barockbett im ersten Stock der Villa wacht er derzeit auf und hat sich auch ansonsten mit seinen privaten Möbeln, Büchern, Filmen und einer kleinen Kunstsammlung in Teilen der Galerieräume installiert. Mit dieser ungewöhnlichen Ausstellungsform scheint der in Berlin lebende und in London ausgebildete Maler sein Inneres nach außen zu kehren. Im Laufe des Abends wird aber vor allem eins deutlich: Seine Haltung zum System der Informationsverbreitung ist eher vereinnahmend denn aufschließend. Die Öffnung dient vor allem der Kontrolle der Konstruktion der eigenen Rolle. Seine öffentlich gemachte Privatheit ist überaus durchdacht und choreografiert.

Die Reflexionen der Spezialisten nahmen, anders als zu erwarten, gegenüber den Ausführungen des Künstlers nur einen geringen Raum ein. Professor Dr. Martin Warnke wollte das Körperthema in Krauss’ pastösen Malereien zwar nicht verkennen, er bezweifelte aber den Dienst der Vorrangigkeit dieses Begriffs. Für Warnke ist der biologistische Begriff „Chromosomes“, mit dem Krauss seine aktuellen Malereien bezeichnet, nicht das, woran er beim Anblick der Arbeit denken würde. Viel eher seien es Fragen nach ästhetischen Kriterien und Aspekte der Wahrnehmung, die die unterschiedlichen „Farbkörper“ auf weißem Tafelgrund für ihn aufwürfen. Weitere Ausführungen dazu wie auch die angekündigten Überlegungen zum Barock fanden nicht statt.

Bisky machte sich vor allem Gedanken über Krauss’ Technik. Der dicke Farbauftrag erinnere ihn an das kindliche Vergnügen beim Herumpanschen mit Essensresten. Wulstig und speckig nähmen sich die Ölfarbenhäufchen aus und er könne sich Krauss gut beim Herumhantieren mit seinen Ölfarbeneimern vorstellen. In Biskys Worten klingt der gewählte Farbauftrag heroisch. Dass er seine Werke nach der Fertigstellung oft nicht mehr heben könne, so schwer liege die Ölfarbe auf ihnen, gibt Krauss selbst gerne zu.

Neben dem übermäßig dicken Farbauftrag auf weißem Grund sind es die extremen Perspektiven und die Platzierungen von Farbhäufchen in Glasvitrinen, die Krauss’ Arbeiten auszeichnen und besonders machen. Für Prof. Dr. Bodo Niggemann stellt der in der Draufsicht gemalte Körper einen ganz anderen Ansatz dar als den der derzeitigen Medizin. Die Medizin versuche den Menschen zunehmend in Schichten und Scheiben zu zerlegen und desillusioniere dabei den Körper, während er bei Krauss eher verdichtet und überhaupt nicht aufgelöst werde. Hier kommt einer der interessantesten und diskussionswürdigsten Momente der Ausstellung ins Spiel. Krauss, der ursprünglich selbst aus der Medizin kommt, hat überraschenderweise ein Endoskop durch die Zwischendecke des Hauses gebohrt. Über einen Bildschirm werden die Stauchungen der Farbhäufchen in den Vitrinen in figurale 3-D-Ansicht überführt und zugleich die sie umgebenden Betrachter mit erfasst.

Die Bedeutung dieser Perspektive wie auch der Aspekt der medialen Vorlagen, die Krauss für seine Körperbilder wählt, indem er sie aus ihrem Kontext reißt und in weniger gewalttätig anmutende Momentaufnahmen überführt, hätten sicherlich noch weiterer Betrachtungsperspektiven bedurft. Zum einen fehlte die Zeit, zum anderen schien es aber gerade so, als wäre die Veranstaltung vorrangig als eine „Sprechstunde“ für den Künstler inszeniert. Das ist an sich eine großartige Sache, die vermutlich viel zu selten stattfindet, ein moderierender Eingriff, der die Expertenrunde in ihrer Redebereitschaft mehr aus der Reserve gelockt hätte, wäre aber trotzdem willkommen gewesen.

Bis 26. April, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, täglich 11 bis 18 Uhr