Ein Nager in der Suppe

„Despereaux – Der kleine Mäuseheld“ von Sam Fell und Robert Stevenhagen ist ein Nachschlag von „Ratatouille“

Man gönnt ja Danny Boyle all die Oscars für „Slumdog Millionär“ – allein schon, weil damit den Star-Vehikeln Hollywoods solch eine Abfuhr erteilt wurde. Aber als den besten Film des Jahres sah eine Reihe von internationalen Kritikern in Publikationen wie dem „International Film Guide“ dann doch eher das „animierte Meisterwerk ‚Wall-E‘“ (so etwa David Denby im New Yorker). Der Trickfilm hat sich endgültig von den Beschränkungen der Familienunterhaltung à la Disney verabschiedet und bei so gewitzten und vielschichtigen Produktionen wie „Shrek“ bekommen die Erwachsenen inzwischen mehr zu lachen als die Kinder.

Die Pixar-Studios von John Lasseter sind die Avantgarde bei diesem kreativen Schub der Computeranimation, und dort scheint man sich absichtlich schwere Aufgaben zu stellen: „Wie kann es uns gelingen, dass die Zuschauer eine Ratte in der Küche nicht eklig finden?“, war etwa die Frage bei „Ratatouille“ und dessen Erfolg war so groß, dass die Konkurrenz von den Universal Studios nun nachlegt und ebenfalls ein Nagetier in die Suppe fallen lässt.

Die Regisseure Robert Stevenhagen und Sam Fell schöpfen dabei aus dem Vollen: Sie animierten gleich drei verschiedenen Welten für diesen Film: eine der Mäuse, eine der Ratten und eine der menschenähnlichen Märchenfiguren. In ihnen muss sich der furchtlose Held bewähren, der zudem noch in allen dreien der Kleinste ist. Die Maus „Desperaux“ ist selbst im Vergleich mit ihren Artgenossen winzig, aber nicht deswegen gilt sie als eine Missgeburt, sondern weil sie eine unter Mäusen abnorme Eigenschaft hat: sie fürchtet sich vor nichts und niemanden. Zudem liest sie gern, und so stößt sie bald auf Geschichten von tapferen Rittern. Wie Don Quichotte hält die kleine Maus sich selbst bald für einen romantischen Helden, der Prinzessinnen befreien und das Königreich retten muss. So ist er natürlich die ideale Identifikationsfigur für Kinder und die lernen an seinem Beispiel, dass man mit Mut, Witz und dem Ehrgefühl eines Gentlemans die gefährlichsten Abenteuer bestehen kann.

Je menschenähnlicher die Figuren, desto größer die Schwierigkeiten bei der Animation. In „Toy Story“ sind die Spielsachen lebendiger als die Kinder – dieses Problem wurde auch hier nicht befriedigend gelöste. Und so sind die Unterwelten der Nagetiere viel fantasievoller und interessanter als das oberirdische Schloss mit dem üblichen Personal wie König, Prinzessin, Zofe, Hofkoch usw. Originell ist oben nur ein aus Gemüse zusammengesetztes Wesen, das den Gemälden von Giuseppe Arcimboldo nachempfunden ist und dem Koch bei der Kreation einer neuen Suppe hilft. Unten gibt es dagegen eine böse Ratte, die an Nosferatu erinnert, einen Zirkus, in dem kleine pelzige Gladiatoren gegen eine wilde Katze kämpfen und eine idyllische Stadt aus Küchenutensilien.

Doch leider wird hier so verwinkelt erzählt, dass nicht nur den Kindern viel Konzentration abverlangt wird. Abrupt wird da zwischen der Geschichte einer Ratte, deren Herz versteinert, jener der Prinzessin, die sich in dem verfluchten Königreich Sonne, Suppe und Ratten zurückwünscht, der einer armen Magd, die auch mal Prinzessin sein will und der einer edlen Maus auf der Suche nach Abenteuern hin- und hergesprungen. Der Grund für dieses Konvolut an Erzählsträngen mag darin liegen, dass der Film auf gleich vier Kinderbüchern von Kate DiCamillo basiert, und natürlich auch die treue Leserschaft befriedigt werden sollte, die erfahrungsgemäß sehr ungnädig auf Kürzungen und Änderungen reagiert.WILFRIED HIPPEN