Martin Margielas Mode: Wo alles weiß in weiß ist

Im Münchner Haus der Kunst sind Objekte des Modemachers Martin Margiela ausgestellt. Der einstige Designer der Zukunft hat inzwischen unsere Garderobe nachhaltig verändert.

Eine Kreation aus der Maison Martin Margiela Kollektion. Bild: dpa

Von oben bis unten weiß angepinselte Fahrräder, deren Sättel und Griffe mit einem weißen Baumwollstoff überzogen sind, warten vor dem Martin-Margiela-Laden in der Maximilianstraße. Man kann sich die Räder nehmen, um von der Store-Eröffnungsparty durch den kalten Münchner Abend hinüber zum Haus der Kunst zu fahren, zur Vernissage der Ausstellung, die Martin Margiela gewidmet ist.

Margiela malt alles weiß an, was er in die Finger bekommt, oder er zieht weißen Stoff darüber - das ist eine Art Tick, dessen Ausführung nun, da er einer der bekanntesten und erfolgreichsten Modeschöpfer überhaupt ist, seine Mitarbeiter für ihn übernehmen. Steigt man vom Fahrrad ab, vor dem Haus der Kunst angekommen, die Hände steif gefroren, sind die schwarzen Wildlederschuhe von der abgeblätterten weißen Farbe mit feinen Sprenkeln überzogen. Ein Palimpsest? So wie Margielas übermalte Jeansjacken, T-Shirts und Schuhe, die gleich am Eingang der Ausstellung zu sehen sind und die laut Katalogtext "langsam die Schichten seiner verborgenen Vergangenheit freigeben".

Margiela hat die Konzeptmode vielleicht nicht erfunden, aber er hat sie bekannt und beliebt gemacht, und seit es sein Haus gibt, seit zwanzig Jahren also, arbeitet er mit jenem provokativen Überschuss, den es wohl braucht, wenn man Grenzen verschiebt. Margielas Ästhetik ist prägend für unser allgemeines Verständnis von zeitgemäßer und schöner Kleidung heute - das wollten die Kuratoren zeigen.

Kaat Debo vom MoMu, dem Modemuseum in Antwerpen (wo die Ausstellung bis Februar zu sehen war) und Chris Dercon, der Direktor des Hauses der Kunst, haben Entwürfe und Objekte aus den Archiven der Maison Martin Margiela zusammengestellt. Zu sehen ist ein Pullover aus zerschlagenem Geschirr oder ein Jackett, dessen eine Hälfte komplett fertig genäht ist, während die andere unvollendet bleibt, das übrig gebliebene Material ist auf eine Rolle gewickelt, die gegen die Schneiderbüste lehnt. Ein ärmelloses Kleid wurde an einer Seite der Hüfte aufgeschnitten, um das Futter darunter freizulegen. Ein Twinset aus rostbraunem Feinstrick ist so bearbeitet, dass der Stoff permanent Falten wirft. Ein anderes Oberteil hat einen verbrannten und angesengten Saum. Ein Trenchcoat ist aus zwei alten Mänteln zusammengenäht. Margiela vernäht die Schnittkanten nicht, er lässt den Stoff ausfransen, er zerknittert, zerreißt, zerlöchert, verkokelt ihn.

So spitzt er das Prinzip des "dressing down" zu, das seit Anfang des 20. Jahrhunderts gilt, seit Coco Chanel und Madeleine Vionnet, eigentlich seitdem Frauen kein Korsett mehr anziehen. Margiela hat das Tragen von Kleidung vereinfacht, denn bei ihm sind Kleider nie perfekte, unversehrte Gegenstände. Kleidung soll sich dem Körper anpassen und nicht der Körper der Kleidung (das wäre das "Dressing up"-Prinzip des 19. Jahrhunderts, das Menschen in die Kleidung hineinzwängte). Margielas Entwürfe bedenken, dass Kleidungsstücke, sobald man sie anzieht, Flecken und Löcher bekommen können, ausleiern, unter Umständen übel riechen, eingehen, ausbleichen, und irgendwann vielleicht nicht mehr passen, weil man ab- oder zunimmt.

Margiela interessiert aber auch, denn er ist ein Kind der Achtzigerjahre, der dekonstruktive Aspekt dieses Verfahrens. Er will das System explizit machen, indem er die Prozedur offenlegt. Er hat einen Schuh entworfen, der aussieht wie für einen Paarhufer gemacht und eine Reminiszenz an die japanischen Tabi-Schuhe ist. Dass ein Schuh oder eine Socke den großen Zeh von den anderen Zehen abteilt, ist eine japanische Idee, die Margiela aufgreift. Er ahmt jedes Schuhmodell als Tabi-Variante nach, also Ballerinas, Overknees, Ankle Boots, und lässt auf die Weise die Willkür unserer Vorlieben erkennen.

Aber mit diesem kritischen und abstrakten Zugang will Margiela die Mode nicht verspotten. Schließlich ist Mode im Prinzip ja genau das: die Codes unserer Garderobe infrage stellen und neue finden. Der ständige Wandel ist dem System der Mode inhärent, und Antimode ist am Ende nichts anderes als Mode selbst. Margielas Ideen sind eigentlich ziemlich konstruktiv, was man auch daran sieht, dass sie irgendwann im Mainstream ankamen. Sie zeigen sich zum Beispiel in dem hybriden Stil, für den heute Carine Roitfeld oder die Stylistin Rachel Zoe stehen. Sie üben den Bruch in der Silhouette, im Stil, entwenden ganz selbstverständlich Kleidungsstücke ihrem ursprünglichen Kontext und bringen sie zu einem neuen Look zusammen. Für eine ihrer ersten Fotostrecken als Chefredakteurin der französischen Vogue zeigte Roitfeld Anfang 2002 weiße abgerissene, ausgeleierte T-Shirts, die sie mit den Logos großer Marken bedruckt hatte. Die Balmain-Blazer der aktuellen Sommerkollektion, die einen sagenhaften Erfolg haben, imitieren das Powerdressing der Achtzigerjahre, doch am Ärmel sind die Schnittkanten nicht umgeschlagen und fransen aus. Der Knitterlook, das ungebügelte Hemd, der abgeriebene Saum eines T-Shirts, überlange Ärmel, die über die Hand reichen, all das gehört heute selbstverständlich zu unserer Garderobe.

Margielas Mode hat einen Nerv getroffen hat, doch ist Margiela nicht nur der scheue Künstler, als der er sich inszeniert (er zeigt sich der Öffentlichkeit nicht). Er weiß den Markt genau einzuschätzen, wie alle großen Modeschöpfer und wie sein wichtigstes Vorbild Rei Kawakubo, Gründerin von Comme des Garçons. Auch sie ist ein bisschen schüchtern, tritt nur selten öffentlich auf, doch sie setzte schon früh auf Kooperationen mit dem mittleren Preissegment, wie sie heute allgemein üblich sind, und sie hatte nie ein Problem damit, mehrere Dutzend Düfte und zahlreiche Accessoires zu moderaten Preisen anzubieten, die ihre Marke stärken. Margiela hat seine Firma an Renzo Rosso verkauft, den Gründer der Jeansmarke Diesel, dem inzwischen auch Anteile an Sophia Kokosalaki und Viktor & Rolf gehören. Außerdem gibt es bei Margiela schon lange auch ganz einfache, tragbare und verkäufliche Mode - in dem neuen Laden in der Maximilianstraße liegen am Abend der Eröffnung in einer Vitrine zum Beispiel kleine Portemonnaies aus sandfarbenen Leder aus. Ein Paar High Heels aus schwarzem Lackleder steht im Regal, und auch der junge Schriftsteller, der beteuert, dass er sich eigentlich gar nichts aus Mode mache und heute Abend nur hier sei, weil ein Freund von ihm ihn quasi überredet habe mitzukommen, findet sie okay. Marie Bäumer, die auch da ist, trägt ein steingraues Margiela-Ensemble und dazu hohe Stiefel in einem Weißton, den Margiela vielleicht "papier jauni" nennen würde. Sie sieht sehr hübsch aus.

Später auf der Party, die im Haus der Kunst stattfindet, steht der Schriftsteller neben einer Frau, die einen Rock mit asymmetrischem Saum trägt. Sie unterhalten sich über die Frage, ob es jetzt, wegen der Wirtschaftskrise, endlich vorbei sei mit der ewigen Ironie und dieser postmodernen Dekadenz.

In den oberen Räumen des Museums werden zurzeit Fotos von William Eggleston gezeigt. Auf den Bildern aus den sechziger und siebziger Jahren sieht man weiten blauen Himmel über Amerika, verblichene Coca-Cola-Schilder in mattem Rot, heruntergekommene Tankstellen und Drive-ins, das expressiv bunte Mobiliar einsamer Motelzimmer. Die Motive und die ganze Bildästhetik scheinen heute naheliegend. Seine jüngeren Fotografien, grelle Tulpen in Zellophan, wirken sogar leicht abgeschmackt, doch Eggleston war einer der Ersten überhaupt, der mit künstlerischer Absicht Fotos in Farbe machte und er folgt nur konsequent einer Ästhetik, die einmal neu war und heute gängig ist.

Vielleicht waren deshalb viele vom letzten Pariser Défilé der Maison Martin Margiela enttäuscht: Das Haus macht das, was es immer gemacht hat, aber die Entwürfe sind jetzt nicht mehr zukunftsweisend. Das kann Margiela aber egal sein. Er ist für MMM inzwischen ohnehin nur noch als Berater tätig. Sollen doch die, die heute jung sind, ihre eigene Avantgarde machen.

Bis 1. Juni , Haus der Kunst, München, Katalog (MoMu, Antwerpen) 43,50 €

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