Das Kosmodrom von Eidelstedt

Michel Abdollahi ist ein Star der Hamburger Slam-Szene. In den Zeise-Kinos in Altona moderiert er jeden Monat den „Kampf der Künste“, bei dem die Slammer in mehreren Disziplinen antreten. Aufgewachsen ist er im Vorort Eidelstedt, als Kind iranischer Einwanderer. Eine Begehung

Beim Rundgang durch sein altes Viertel trägt Abdollahi Fellmütze, und Thermohose

VON MIRJA PAPE

Er sitzt auf dem gesponserten weißen Ledersofa, neben sich eine stylische gebogene weiße Stehlampe, ein Spot ist auf ihn gerichtet. Auf der anderen Seite der Bühne bereitet sich ein Poetry Slammer auf seine Performance vor. „Bleibst Du die ganze Zeit da?“, fragt der Slammer. „Ja, wie die Königin von England“, antwortet Michel Abdollahi. Das Publikum lacht. Es sind viele, die lachen. Der große Kinosaal des Hamburger Zeise-Kinos ist ausverkauft.

Jeden zweiten Freitag im Monat ist in den Zeise-Kinos Poetry-Slam, und viele Menschen kommen nicht nur aus Liebe zu vorgetragenen Texten. Sie kommen wegen dem Mann auf dem weißen Sofa: Michel Abdollahi, ein schlacksiger Endzwanziger mit leicht ergrauten Haaren. Seit drei Jahren moderiert Abdollahi den „Kampf der Künste“, der in drei Slam-Disziplinen ausgetragen wird: Poetry Slam, Singer Slam und Shortfilm Slam. Eine neue, vierte Disziplin – der Theater Slam – moderiert er im Deutschen Schauspielhaus.

Bevor Abdollahi mit einem Jugendfreund den „Kampf der Künste“ ins Leben rief, war er selbst Poetry Slammer. Entdeckt wurde er durch einen Zufall. Seine beste Freundin Jenny zeigte ihrem Vater eine Geschichte, die Michel, damals noch Schüler, geschrieben hatte. Der Vater fand die Geschichte gut und zeigte sie dem befreundeten Künstler Felix Schröder. Der fand die Geschichte auch gut und nahm Michel mit zu einem Poetry Slam.

Michel gewann, dachte sich aber zunächst nichts dabei: „Ich hab mir meinen Sekt genommen und bin gegangen.“ Einen Monat später bekam er einen Anruf vom Team Hamburg und seine Slam-Karriere begann.

Aufgewachsen ist Michel Abdollahi im 13. Stock eines 15-stöckigen Hochhauses im Hamburger Vorort Eidelstedt. Das Gebäude hat einige Stockwerke mehr als alle umliegenden Wohnblöcke, Abdollahi nennt es deswegen auch das „Empire State“ von Eidelstedt. Derzeit zieht er gerade von zu Hause aus. „Muddern und Vaddern werden mich bestimmt vermissen“, sagt er, aber an der Alster solle es auch ganz schön sein.

Beim Rundgang durch sein altes Viertel trägt Abdollahi Fellmütze, Tarnjacke, Thermohose und Sportschuhe. Als es anfängt zu schneien, holt er einen Regenschirm hervor, der an einen Zwiebelturm oder an ein Beduinenzelt erinnert. Vorbeikommende Kinder lachen. „Meine Nachbarin Frau Milhan, neben uns, oben im 13. Stock, die sagt immer: ‚Hier das war mal alles Acker‘“, sagt Abdollahi.

„Siehst Du das Gebäude?“, fragt er und zeigt auf ein großes rechteckiges Haus mit vielen Fenstern. „Als wir früher aus dem Kindergarten rausguckten, haben wir uns immer gedacht:‚Was geht denn bitte hier ab?‘“ Niemand ging jemals rein ins Gebäude, niemand raus. „Deswegen meinte ich, es kann sich nur um ein geheimes Internierungslager der USA oder der Russen handeln.“

Manchmal weiß man bei Abdollahi nicht, was er ernst meint und wo die Ironie anfängt. In seiner selbst verfassten Biografie auf der Homepage von „Kampf der Künste“ gibt er sich als der jüdische Schriftsteller Mosche Feigenbaum aus. Er ist natürlich weder jüdisch, noch heißt er Mosche Feigenbaum, andere Details aus der Biografie stimmen aber. Die Verwirrung ist Absicht: „Die Leute sollen merken, dass man Menschen nicht so einfach fassen kann“, sagt Abdollahi, der mit fünf Jahren aus dem Iran nach Hamburg kam und hier Jura studiert hat.

Manchmal muss Abdollahi auch über seine eigenen Witze lachen. Als er am Bahnhof in Eidelstedt vorbeikommt, der zur Fußballweltmeisterschaft vor drei Jahren aufwändig modernisiert worden ist, sagt er, dass die Bahn noch immer nur alle 20 Minuten fahre. „Aber man dachte sich, man baut einfach mal für einige Milliarden Euros hier ein Space-Kosmodrom hin, wo man quasi mit Raketen zum Saturn fliegen kann.“ Noch schaut er ernst. „Unglaublich“, sagt er, „diese rasante Entwicklung Eidelstedts vom Agrarstaat zu New York City.“ Jetzt muss Abdollahi lachen. Auch auf der Bühne passiert ihm das, dass er einen Lachanfall bekommt.

Ernst ist Abdollahi dagegen, wenn er über Kunst redet. „Kunst ist gut für den Geist“, sagt er, sie sei „ein derbe geiles Ventil“. Jeder Mensch könne Kunst machen, seine Augen fangen an zu strahlen. Viele hätten Schwierigkeiten mit der Kunst, weil sie es sich zu schwer machten, findet er. „Aber warum Photoshop mit den vielen komplizierten Funktionen verwenden, wenn es auch einfach mit Microsoft Paint geht?“ Abdollahi malt unter dem Pseudonym „Arte“, seine Bilder haben Titel wie „Hitler ist tot“.

Abdollahi diskutiert gerne, egal ob er auf dem weißen Sofa im Zeise-Kino sitzt, oder im Eidelstedter Traditionsimbiss Quick. „Die Mopo“, sagt er, während er eine Currywurst und Pommes verzehrt, „hat herausgefunden, dass der Eidelstedter Platz der drittgefährlichste Platz in ganz Hamburg ist.“ Michel glaubt das nicht. „Eidelstedt ist kein gefährlicher Stadteil, ne?“, fragt er seinen Tischnachbarn. „Doch“, antwortet der Mann im Bundeswehrparka, „ruhig gefährlich.“ „Stille Gefahr“, sagt jemand anders. „Stille Gefahr“, wiederholt Michel, das höre sich doch schön an.

Fast so schön wie das Abschiedsgedicht des persischen Nationaldichters Saadi, mit dem sich Michel bei den Slams verabschiedet. Es geht so: „Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht / als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht. / Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder, / dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider. / Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt, / verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.“

Von Ironie ist keine Spur mehr. Aber auch das ist Michel Abdollahi.

Am kommenden Freitag um 22.30 Uhr startet in den Hamburger Zeise-Kinos eine neue Solo-Show mit Michel Abdollahi. Angekündigt ist ein „wilder Mix aus Texten, Bildinterpretationen, Kurzfilmen und persischen Gebäck“