zwischen den rillen
: Murmelndes Brodeln im Sog der ausgeschlichenen Klänge

Die Musik von D. M. Stith kommt aus einem referenzlosen Nirgendwo

Pop ist verbrannte Hype-Erde. Eine Mondlandschaft nach der großen Feuersbrunst. Aber „Heavy Ghost“, das Debütalbum des US-amerikanischen Musikers David Michael Stith, ist der tönende Beweis, dass jenseits der Apokalypse neues Leben entsteht. Die Musik von Stith kommt aus einem referenzlosen Nirgendwo. Einem Zustand also, den es im Zeitalter von MySpace gar nicht geben kann. Trotzdem ist die biografische Faktenlage in Stiths Fall unklar. Er sei Grafiker, heißt es, wollte Schriftsteller werden, wurde von Freunden zum Musikmachen überredet. Ein Jahr habe der 25-Jährige durchgehend an „Heavy Ghost“ gearbeitet. Geniekult-Propagandismus? Nein, der Mann ist schlicht und einfach musikalisch. Er schreibt und singt seine eigenen Songs. In den zwölf Songs des Albums steckt aber ein Erfahrungsschatz, der weiter zurückreicht als nur bis zur goldenen Ära amerikanischer Singer-Songwriter. Ohnehin unterläuft D. M. Stith alle Genre-Gesetzmäßigkeiten. Er ist ausschließlich seiner eigenen Klanganschauung verpflichtet. „Diese Musik verlangt den Hörern höchste Aufmerksamkeit ab“, schrieb ein Kritiker über D. M. Stith, „aber er benimmt sich anders, als wüsste er, wie er diese Aufmerksamkeit clever von den Hörern abholen kann.“

Das Grundgerüst der zwölf Songs besteht aus Piano, Gitarren, Harmonium und allerhand simpler Percussion, von Kastagnetten bis zum Händeklatschen. Stith benutzt Echo und Halleffekte, um diese Basis wieder zu verfremden. Den Background-Chor seiner eigenen Stimmen lässt er rückwärts laufen, setzt wieder andere Gesangsspuren darüber. Gegensätzliches erzeugt Spannung: Sparsame Instrumentierung wird von kakophonischen, orchestralen Arrangements abgelöst, ein Streicher-Crescendo geht in einen Moment der Stille über. Die ruhigen Melodien unterfüttert Stith mit seltsam hüpfenden Rhythmen, immer wieder kommt es so zu unvorhersehbaren Brüchen. Wirklich neu ist die Segmentierung der Montage: Man fühlt sich an Antoine Duhamel erinnert und seine wellenförmige Filmmusik für Jean-Luc Godard. Aber Stith schreibt Songs, eigenwillige Songs in außergewöhnlicher Dramaturgie: Die düsteren Songs befinden sich am Anfang des Albums, zum Schluss hellt die Stimmung wieder auf. Jeder Song ist in sich abgeschlossen, aber auch zusammengenommen ergeben die Stücke auf „Heavy Ghost“ einen mitreißenden Erzählstrom. Strophen und Refrains gibt es nicht, Stith schleicht die verschiedenen Teile in einem Gewimmel unheimlicher Klänge einfach aus. Man kann diese Musik mit den Geräuschen vergleichen, die William Faulkner in seinem Roman „As I lay dying“ als „kleine, sickernde Ausbrüche geheimen und murmelnden Brodelns“ bezeichnet hat.

„I called you / I called you“ hebt eine Stimme im Auftakt „Isaac’s Song“ an. 44 ergreifende Minuten später ruft die gleiche Stimme in „Wig“, dem Schlussakkord des Albums, den Namen „David, David“. Dazwischen liegt eine Menge fragmentarischer Gedanken, gerichtet an Freunde, Geliebte, aber auch an sich selbst. Einmal verwandelt sich das Text-Ich sogar in die bläulichen Strahlen eines Fernsehgeräts. Man sollte seinen Augen und Ohren bei David Michael Stith aber niemals trauen. In dem Song „Thanksgiving Moon“ hebt er mit den Worten „Raise your arms / for victory“ zu singen an. Und dann lässt Stith die Sterne um den Mond tanzen. Die Moll-Stimmung des Songs führt die Hörer jedoch geradewegs auf die abschüssige Straße der Verlierer. Schon beim Albumtitel „Heavy Ghost“ beginnen die Widersprüche. Seit wann ist der Geist schwer? Sind damit die Schatten der Vergangenheit gemeint? Ist da jemand gottesfürchtig? Sagen wir es so: Vielleicht hat D. M. Stith einfach nur gemerkt, wie unbedeutend der harmonisierende Einfluss seiner Musik auf den Lauf der Welt ist. Dass er gegen diese Aussichtslosigkeit angeht, den Willen zum Weitermachen aufbringt, das Leben in all seiner Konfusion dennoch feiert, muss man dem amerikanischen Musiker hoch anrechnen.

JULIAN WEBER

D. M. Stith: „Heavy Ghost“ (Asthmatic Kitty/Cargo)