Die wollen nur spielen

Beim 6. Jumpstyle-Treffen hüpfte man am Hauptbahnhof und am Lustgarten mit 150 Beats per Minute durch den Nachmittag

VON HEINRICH DUBEL

Während sich am Samstag vorm Roten Rathaus die antikapitalistische Großdemonstration träge in Bewegung setzt, treffen vor dem Hauptbahnhof etwa 200 Jugendliche ein, die ganz anderes im Sinn haben. Sie wollen sich auf dem Bahnhofsvorplatz einem ekstatischen Tanzvergnügen namens Jumpstyle hingeben. Sehr viele ganz Junge sind dabei, Dreizehnjährige, sogar Kinder, die mit ihren Eltern angereist sind. Sie kommen aus Hamburg, Rostock, Dortmund, Genthin, Stralsund, Chemnitz, Cuxhaven, Potsdam, aus der Uckermark und aus Berlin, wo es angeblich die meisten Jumpstyle-Crews gibt. Das Berliner Treffen ist nicht das größte (das gibt’s in Bremen), findet dafür aber mehrmals im Jahr statt. Dieses ist das sechste.

Beim Jumpstyle, der Name sagt es schon, wird viel gehüpft. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem irischen Jig drängt sich auf, einem Tanz einfacher Leute aus dem 16. Jahrhundert, der schließlich zum Riverdance-Spektakel mutierte. Die von den Jumpstylern in Gruppen von fünf, sechs oder sieben Leuten bis hin zum Massenjump praktizierten Tanzchoreografien erinnern auch an den bei Wildwestfans beliebten Linedance, der allerdings sehr viel zahmer getanzt wird. Beim Jumpstyle gibt es sechs bis acht Stile, deren Unterschiede sich dem Nicht-Jumpstyler keineswegs direkt erschließen: Hardstyle, Starstyle, Duojump (das Berühren der Tänzer untereinander ist verpönt, außer beim Duostyle), Freestyle und Tekstyle. Letzterer wird auch Frenchtek oder Tektonic genannt, ein Begriff, den sich ein französischer Jumpstyle-Guru als Markennamen hat schützen lassen, sehr zum Ärger der Jumpstyler und auf Kosten des Untergrundcharakters der Bewegung.

Die Jumpstyler, die sich vor dem Hauptbahnhof warm tanzen, sind zwar Technokids, verstrahlt sind sie allerdings nicht. Einige trinken Bier, doch Anzeichen für Drogenkonsum oder Trunkenheit gibt es nicht. Aus einem Dutzend über den unwirtlichen Platz verteilten Boomboxen tönen Jumpstyle-Tunes, mit mindestens 150 Beats per Minute und teilweise erstaunlich vielen Höhen, die die Musik wie Kindertechno aus der Klingeltonwerbung klingen lassen und ihre Herkunft vom Happy Hardcore anzeigen.

Inzwischen ist eine Polizeistreife eingetroffen. Dass die Veranstaltung nicht angemeldet ist, bereitet dem Wachtmeister aber keine Sorgen. Auf die Frage einer älteren Passantin, was denn hier los sei, antwortet er grinsend: „Die machen nüscht, die wollen nur spielen.“ Als er jedoch erfährt, dass die Jumpstyler zum Lustgarten weiterziehen wollen, um dort auf der großen Treppe des Alten Museums den Massenjump, das Gruppenfoto und den Crew-Contest durchzuführen, kommen ihm Befürchtungen, dass die Tänzer „auf die Demo stoßen könnten“.

Schließlich sieht die Polizei aber ein, dass man in diesem Fall auf einen Begleitschutz verzichten kann. Man einigt sich darauf, dass die Tänzer in kleineren Gruppen mit der S-Bahn abfahren und „bitte vorher ihren Müll aufsammeln“ sollen, was diese auch bereitwillig tun.

Nach und nach treffen die Jumpstyler am Lustgarten ein. Dass es anfängt, zu regnen, kein Klo gibt und die Musikanlage (gesponsert übrigens von einer christlichen Freikirche, deren jugendliche Missionare später noch eine Erlösungspantomime mit Karnevalsmasken aufführen) irgendwo zwischen hier und Hauptbahnhof im Verkehr feststeckt, das alles ficht die Jumpstyler nicht an. Sie tanzen. Dann endlich der Crew-Contest: Sieben Gruppen treten gegeneinander an, wobei die Tänzer möglichst minutiös dieselben Sprünge vollführen. Nach zwei Durchläufen stehen die Sieger fest, ermittelt durch lautstarken Applaus seitens des Publikums. Es sind die Hardstyle Brotherz aus Berlin.