Kinder, auf zum Klassenkampf!

Das Kinder- und Jugendtheater Murkelbühne inszeniert Brechts Krisenlehrstück „Der Brotladen“ als einigermaßen groteske Revue. Die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten etwa kommt als die ultimative Lachnummer daher

Auch wenn der Happy-happy-family-mäßige Name dieses Theaters etwas abschreckend ist – ein Besuch in der Murkelbühne ist dringend zu empfehlen. Und zwar allen, die gelangweilt sind von erwachsen gestanztem politischem Kabarett und sich nach der Demo am Wochenende nach lebendigerer Ätze in Zeiten der Krise sehnen. Allen, die mal wieder neu infiziert werden wollen von der anarchischen, genussvollen Kraft des Theaterspielens. Allen, die die Hoffnung in die Jugend verloren haben. Und allen, die das Kinderparadies Prenzlauer Berg mit Idylleekel beäugen.

Denn – man höre und staune –dieses Paradies gebiert jetzt frische Aufrufe zum Klassenkampf. Noch wird der zwar auf der Bühne eines Kinder- und Jugendtheaters geprobt, aber nach der Premiere des „Brotladens“ von Bertolt Brecht am vergangenen Freitag ist man sich fast sicher: Lange kann es nicht mehr dauern, und diese jungen, lauten, wuseligen Schauspielerinnen und Schauspieler machen Ernst. Auch wenn sie es beim Singen des Einheitsfrontlieds erst mal noch nicht ganz aussprechen: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der … pscht!“

Es spielen die 16 Mitglieder des Kurses „Theater im Ensemble für Menschen ab 12+“. Und was sie da machen mit dem Brecht’schen Wirtschaftskrisenfragment von 1929/30, was sie da alles ankoppeln und hinzuassoziieren, was für ein fast übervolles Gesellschaftskritik-Füllhorn sie da supersouverän darbieten, das ist witzig, rasant und oft besser als Volksbühne.

In der Kerngeschichte wirft Bäcker und Hausbesitzer Braun die Witwe Queck mit ihren fünf Kindern aus der Wohnung, weil sie die Miete nicht mehr zahlen und der Bäcker in Zeiten der Inflation seine eigenen Kreditzinsen nicht mehr abstottern kann. Dem Bäcker wird trotzdem von der Bank der Kredit gekündigt, er muss selbst seinen Laden räumen und landet auf der Straße. Die Witwe dagegen richtet mit Unterstützung von Heilsarmee und Bank in der ehemaligen Bäckerei einen Puff ein. Beide Protagonisten also landen unter tatkräftiger Mithilfe von Finanz- und Karitativpersonal in dem einen oder anderen Ganzunten.

Mit großer kommentierender Freude grätschen die Jugendlichen aber diesem heiligen Lehrstück-Ernst in den Schritt, machen aus dem Stück eine Revue und eine Groteske gleichzeitig. Die beiden klavierspielenden Clowns Sodann (hat einen Festvertrag!) und Suhrkamp (schützt vergeblich die Urheberrechte!) geben die Nummerngirls. Das Ensemble mimt furios Arbeitslose, alte Schnepfen und Fernsehshowzuschauer. Der geiernde Skandalismus der Presse und die abgefuckte, publicitywirksame Elendsausbeutung von Kampagnenarbeit wird genauso lustvoll vorgeführt wie das Fernsehen als neues Opium des Volks. Die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten kommt als die ultimative Lachnummer daher.

Manchmal kann man beim Zuschauen kaum glauben, dass sich die Jugendlichen das alles selbst ausgedacht haben, und unterstellt der Theater- und Projektleitung beherzte linkspädagogische Einflüsterungen. Wenn dann aber Talitha Szallies in bester Crossdressing-Manier den Polizisten, Emil Heusinger die Prostituierte und die wunderbare Pia Lipka den dienstfertigen Kameramann gibt („Ick schneid Ihnen noch die Bilder von der versifften Bude von dem Messie dazwischen“), dann wird klar: Es braucht keine Einflüsterung und keinen Erwachsenenblick, um zu beobachten und manche Dinge scharf konturiert so darzustellen, wie sie nun mal sind.

2010 will der Bezirk Pankow den EliasHof, wo die Murkelbühne zurzeit residiert, wieder zur Schule umfunktionieren, um der vielen Prenzlauer-Berg-Kinder Herr zu werden. Hoffentlich weiß er, dass sich außerhalb der Schule oft besser fürs Leben lernen lässt, und findet fix eine neue Spielstätte.

KIRSTEN RIESSELMANN

Weitere Vorstellungen: 1.–3., 22., 24. und 25. April, 19 Uhr, Murkelbühne, Senefelder Str. 6, Karten: 4 48 33 54