Bürger & Gesindel (1)

Geld hast du doch keins

„Ah, ein Experte am Werk!“, sagt irgendwer zu Dietrich. Auf der Kastanienallee, ein paar Schritte neben dem schauerlichen Szenecafé, das er wegen seiner Klientel „Wiesbaden“ getauft hat, obwohl es andere Leute unverdrossen „103“ nennen, durchforstet Dietrich Kisten mit Schrottsingles und durchgenudelten Maxis nach womöglich unentdeckten Perlen. „Pardon, was bin ich?“, fragt Dietrich zurück. „Du bist ein Experte. Willst Platten kaufen, aber hast kein Geld.“ Die Gosche, aus der diese herablassende, hamburgerisch gefärbte Rede fließt, gehört dem Herrn Plattenhändler.

Dietrichs Fehler besteht nun darin, dem Kollegen erklären zu wollen, dass er dabei sei, die selbstgestellte sportliche Aufgabe zu lösen, innerhalb von vier Wochen mit einem begrenzten Budget eine möglichst große Zahl von Vinylplatten für ein bevorstehendes DJ-Set zu erstehen. Denn die feinen Rezeptoren der Krämerseele haben längst erkannt, dass Dietrich nicht gewillt sein wird, irgendwelche „Liebhaberpreise“ zur analen Befriedigung einer sogenannten Sammlerleidenschaft zu zahlen. „Das seh ich gleich, dass du kein Geld hast“, fährt der Händler fort, „ich kenn meine Kunden.“ Mit dämlicher Beflissenheit macht Dietrich Fehler Nr. 2: „Und das Geschäft läuft, wenn man seine Kunden beschimpft?“ Es antwortet grienend: „Aber sicher, siehst du doch. Ich mach das schon seit 15 Jahren.“

Das wird, schlimm genug, wohl stimmen. Da fällt Dietrich nichts mehr ein, nur eine Zeile von Irvine Welsh, der einst über schottische Taxifahrer räsonnierte, die unteren Segmente der Mittelklasse seien „the lowest vermin on earth“. Der Glückliche hat noch nie mit Plattenhändlern aus Hamburg Bekanntschaft gemacht. ULRICH GUTMAIR