Erschütterungen im Herzen

Vom Alltag einer Postangestellten in Seoul und dem Brodeln unter der Oberfläche des Banalen erzählt der elegant zurückgenommene Spielfilm „This charming Girl“ des südkoreanischen Regisseurs Lee Yoon-Ki

„This Charming Girl“; das vielfach ausgezeichnete Spielfilmdebüt des koreanischen Regisseurs Lee Yoon-Ki ist ein stiller Film, der einen ganz allmählich in seinen Bann zieht.

Er dreht sich um Jeong-Hye, einer Angestellten, Ende 20, die in einem kleinen Postamt in Seoul arbeitet. Ruhig, freundlich und stets adrett gekleidet geht sie ihrer Tätigkeit nach. Manchmal redet sie mit anderen, aber bleibt im menschlichen Umgang doch immer distanziert. Privat lebt sie allein und führt ein zurückgezogenes Leben.

Etwas stimmt nicht mit der Heldin. Man weiß nicht, was. Sie sieht gut aus, aber kümmert sich nicht um ihre Füße. Sie möchte Schuhe kaufen; der übereifrige Verkäufer ist sehr bemüht. Er schmeichelt ihr übertrieben und merkt überhaupt nicht, dass sie in Ruhe gelassen werden möchte. Sie geht zum Verkaufstresen und sagt: „Wäre nett, wenn Sie Ihre Kunden mehr wie Menschen behandeln würden.“

Der überwiegend mit einer Handkamera gedrehte Film ist sehr still; die eher begleitende als illustrierende Filmmusik zurückhaltend; die Architektur von Seoul wirkt leicht trostlos auf eine fast verträumte Art.

Nur der Wecker am Morgen ist laut und leicht scheppernd. Sonst passiert nicht viel. Man beobachtet die Heldin in ihrem Alltag im Postamt. Zu Hause nimmt sie eine streunende Katze bei sich auf. Sie erinnert sich an ihre verstorbene Mutter, eine Künstlerin. In einer Arbeitspause isst sie mit Kollegen und sagt, sie genieße es, den Zigarettenrauch anderer Menschen einzuatmen. Sie trifft ihren Exmann wieder, der ihr von seiner bevorstehenden Heirat erzählt. Noch in der Hochzeitsnacht hatte sie den Ehemann wortlos verlassen, während er schlief. Sie verabredet sich mit einem Schriftsteller, einem Kunden, der seine Sachen von ihrem Schalter aus abzuschicken pflegt. In einer Bar trifft sie einen Betrunkenen, der Radau macht und rausgeschmissen werden soll. Irgendwie fühlt sie sich mit diesem seelenverwandt. Sie kümmert sich um ihn und geht mit ihm in ein Motel. Er erzählt, dass er oft darüber nachgedacht hätte, sich die Pulsadern aufzuschneiden.

Die Protagonistin Jeong-Hye, die behutsam und mit sparsamen Gesten von Kim Ji-Soo gespielt wird, ist gefangen in ihrer Vergangenheit. Was in der Gegenwart geschieht, löst schmerzhafte Erinnerungen an schreckliche Dinge aus. Sie versucht, alleine damit fertig zu werden.

„This Charming Girl“ ist ein kleines Meisterwerk, das wie die meisten südkoreanischen Filme der letzten zehn Jahre von Entfremdung und innerer Zerrissenheit handelt, aber auf eine völlig unspektakuläre Art. In seiner zurückgenommenen Eleganz erinnert der Film zuweilen an die Werke von Michelangelo Antonioni. „Mein Film versucht ein kleines Gefühl von Liebe zu beschreiben, die kleinen Wellen, die dieses Gefühl im Leben eines Menschen auslöst, und wie sich das in einer extremen und ironischen Situation auswirken kann. Ich hoffe, dass die Traurigkeit und die kleinen Erschütterungen in Jeong-Haes Herzen sich auch unseren Herzen vermitteln, denn das ist etwas, was wir in Zeiten wie diesen leicht verpassen. (…) Ich habe diesen Film gedreht, um unter die Oberfläche der Dinge zu sehen und so hoffentlich das Besondere an dieser jungen Frau sichtbar zu machen. Ich dachte, diese Geschichte könnte auch andere interessieren“, sagt der Regisseur Lee Yoon-Ki über seinen Film.

DETLEF KUHLBRODT

„This Charming Girl“. Regie: Lee Yoon-Ki. Mit Kim Ji-Soo, Hwang Jeong-Min, Kim Hye-ok u. a. Korea, 2004. 99 Min. Der Film läuft im FSK-Kino am Oranienplatz, bis 22. April jeweils um 20.00 Uhr