Im Bauch einer Matrosenpuppe

KUNST Die Berliner Videokünstlerin Nina Könnemann widmet sich im Frankfurter Portikus kuriosen Auswüchsen der Freizeitkultur: von Plastiknippes bis zum Strohhut

Obskure Dresscodes und modische Aneignungsprozesse spielen in Könnemanns Ausstellung eine Rolle

VON HORTENSE PISANO

Es ist noch nicht lange her, da stellte sich die ganze Nation die Frage, welche Bedeutung der im Fußball-WM-Sommer 2006 aufkeimenden Patriotismuswelle in Deutschland beizumessen sei? Deutsche Nationalfahnen prägten das Straßenbildsignifikanter als je zuvor: Fans schwenkten eifrig Flaggen und Teenager stylten die Nationalfarben Schwarz, Rot, Golden kurzerhand zum Modetrend um. Ein harmloses Zeitgeistphänomen?

Obskure Dresscodes und modische Aneignungsprozesse wie sie die Fußball-WM 2006 in Deutschland hervorbrachte spielen auch in Nina Könnemanns Ausstellung in der Frankfurter Kunsthalle Portikus eine wichtige Rolle. Allerdings hat die Berliner Videokünstlerin ihre Handkamera nicht auf deutsche Fußballfans gehalten.

Ihre aus drei Teilen bestehende Installation verlinkt drei Orte und drei verschiedene Kontexte: Könnemanns Video „Cone“ führt in die nordenglische Küstenstadt Blackpool, deren Freizeitpark „Pleasure Beach“ jedes Wochenende bevorzugtes Ausflugsziel junger Partygänger ist. Als Vorlage der 3D-Animation „Laughing Sailor“ (2008) habe ihr wiederum das Innere einer Automatenpuppe aus dem Spielsalon im englischen Badeort Southport gedient, so Könnemann. Die dritte Arbeit – ein für die Ausstellung produziertes Badetuch – geht auf eine Reise der Künstlerin nach Madagaskar zurück.

Als reduzierte Präsentation und als eine Art Konzentrat ihrer vorangegangen Arbeiten stellt sich Könnemanns Installation für den Portikus heraus. Vergeblich sucht man anfangs nach einem verbindenden Faden. In dieser Abkehr vom Publikum steckt allerdings Strategie.

So lässt Könnemanns Inszenierung viel Platz in dem nur leicht abgedunkelten White Cube Raum. Die weiße Zelle schafft auf der Wahrnehmungsebene die nötige Distanz zu den beiden Videoarbeiten, von deren bewegten Bildern regelrechte Sogwirkung ausgeht. Wie schon in früheren Videoarbeiten Könnemanns sind es erneut marginale Situationen und nicht die Attraktionen des bereits 1896 gegründeten Freizeitparks, denen sie ihre Aufmerksamkeit schenkt. Was die Kamera versteckt aufnimmt, ist ohnehin Spektakel genug: In der Nahaufnahme erhascht man glitzernde Partyschwärmer, leicht bekleidete Teenager, mehrere verkleidet als Krankenschwestern. Jungs tragen karibische Strohhüte und immer wieder taucht ein orangefarbener Hut in Form eines Verkehrshütchens auf. „Where’s the Pub?“, lautet die Aufschrift, womit die alkoholgetränkten Vorlieben des Hutbesitzers klar sein dürften.

Von den peinlichen Anstrengungen englischer Teenager weit entfernt ist dagegen die Darstellung der 3D-Animation „Laughing Sailor“. Die Lachbewegung einer Automatenpuppe wird durch ein fließendes abstraktes Gittermuster simuliert. Projiziert wird der 3D-Film im Portikus auf ein konkav gebogenes Raumelement. Könnemann zieht hier eine historische Verbindung von den Automatenfiguren der frühen Vergnügungsparks hin zum bewegten Filmbild. „Die Anfänge des Films sehe ich eng geknüpft an die Szenarios der ersten Vergnügungsparks“, sagt die Künstlerin über ihre Arbeit. Ihren Digitalfilm könnte man nun dahingehend interpretieren, dass eine technische Innovationen oft nur die Simulationseffekte der vorherigen Erfindungen nachahmt. Man denke an den 1906 im New Yorker Viertel Coney Island eröffneten Luna Park, dessen Vergnügungskomplex am Pier ähnlich auf die Besucher gewirkt haben soll wie Georges Méliès’ Science-Fiction-Stummfilm „Reise zum Mond“ aus dem Jahr 1902. Rund 100 Jahre nach Méliès Pionierfilm funktioniert die Illusionsmaschinerie des Kinos perfekter denn je.

Bei Madagaskar denkt man sofort an den gleichnamigen Animationsfilm und weniger an die Menschen des Inselstaats, wohin Nina Könnemann 2004 reiste. Ihre dort entstandenen Fotografien zeigen Männer, gehüllt in neonfarbene Badehandtücher, die nach ihrer Beobachtung die traditionellen Umhänge ersetzt haben. In ihrer Ausstellung hat die Künstlerin in Anbindung an diesen kulturellen Wechsel ein orangefarbenes Badehandtuch produzieren lassen, das wie ein abstraktes Bild ohne Rahmen in der Kunsthalle hängt. Für Könnemann ist ihr „Basketball-Handtuch“ ein Artikel der sowohl in Madagaskar als auch in Blackpool verkauft und ein Sommer lang getragen werden könnte. So gelingt es ihr, über die Warenstruktur beide Orte zu vernetzen: vermutlich stammen auch die in Blackpool vertriebenen Scherzartikel wie die Badehandtücher ursprünglich aus China.

Insgesamt tun sich zahlreiche Referenzen im Portikus auf – ob es die Rezeptionsgeschichte des Films in Form von Massentourismus und seiner Moden ist. Auf der Bildebene allerdings stellt sich diese Verkettung an Bezügen in ihrer sloganhaft getitelten Ausstellung „Free Mumia“ (eine Art Echo auf internationale Solidaritätskundgebungen, die für den seit 1982 inhaftierten afroamerikanischen Politaktivisten Mumia Abu-Jamal stattfinden) nur schwer her.

Bis 17. Mai, Kunsthalle Portikus Frankfurt am Main