Kulturkampf der Weltreligionen

THEATER „Nathan Messias“ in der Regie von Neco Çelik feierte Premiere im Ballhaus Naunynstraße. Seine Inszenierung wird dem Begriff „postmigrantisches Theater“ gerecht. Künstlerisch tritt sie leider auf der Stelle

Auch Kreuzberg ist für Juden kein wirklich sicherer Ort mehr

VON ESTHER SLEVOGT

Jerusalem liegt an diesem Abend mitten in Kreuzberg, genauer gesagt in der Naunynstraße. Während draußen vor dem Haus noch arabische Jugendliche mit großer Geste unter lauten „Allah“-Rufen die per Bewegungsmelder aktivierbare Straßenbeleuchtung in Gang setzen, hat drinnen im Theater bereits der Kampf um die schwarzen Campinghocker begonnen, die das Spielfeld umranden. Das Ballhaus Naunynstraße wird seit einigen Monaten unter der Leitung von Shermin Langhoff als Kult- und Kulturstätte geführt. Und zwar unter dem sperrigen Theorielabel „postmigrantisch“, das auf der Praxisseite mit unterschiedlichsten Inhalten zum Thema zwischen Theater, Musik, und Performance gefüllt wird. Mitunter wirkt das ein bisschen kokett zwischen soziologischer Behauptung, marktkompatibler Streetcredibility und gut gemeintem politischem Theater und seinen bekannten Zorn- und Betroffenheitsposen. In dieser Gemengelage hat nun Feridun Zaimoglus und Günter Senkels Stück „Nathan Messias“ Premiere.

Das Spielfeld (Bühne: Alexander Wolf) ist klaustrophobisch eng. Man kann gerade noch stehen, so dicht ist über den Köpfen ein Netz gespannt, das der Szene eher den Charakter eines Käfigs gibt und auch an den Seiten die Szenerie begrenzt.

Aggressive elektronische Beats (live gespielt von Dance Floor Killer Mashine) laden die Atmosphäre zusätzlich auf, bis der Zuschauerkampf um die Hocker vorerst entschieden ist und die Unterlegenen resigniert auf dem Fußboden Platz genommen haben. Auf der Bühne entbrannt bald schon ein explosiver Dialog zwischen einem jüdischen Vater und seiner Tochter, die einen muslimischen jungen Felachen liebt.

Das Theaterstück ist eine fatalistische Variation auf Gotthold Ephraim Lessings berühmten Theatertraum von der Aussöhnung der drei monotheistischen Religionen in „Nathan, der Weise“, das im mittelalterlichen Jerusalem der Kreuzzüge spielt. Als die Stadt unter muslimischer Herrschaft stand, fühlten sich die christlichen Europäer zur gewaltsamen Befreiung des Grabes Christi aufgerufen und haben während der Kreuzzüge nicht nur die aus ihrer Sicht ungläubigen Muslime, sondern auch Jerusalemer Juden gemetzelt. Diese hatten ja schließlich Jesus einst ermordet. Zu den Opfern zählte auch die gesamte Familie des Juden Nathan, der daraufhin ein Mädchen an Kindes statt angenommen hat, dem er den jüdischen Namen Recha gab.

Inzwischen steht Jerusalem bekanntlich unter jüdischer Herrschaft, während islamische Fundamentalisten zum Dschihad gegen die Ungläubigen aufgerufen haben. Israel als „imperialistisch-zionistisches“ Gebilde im Herzen des Islam wird seit seiner Staatsgründung 1948 blutig bekämpft, was auch auf israelischer Seite zu einer enormen Verrohung führte, weshalb so etwas wie eine Lösung des Konflikts zunehmend unmöglich scheint.

Auch ist der Konflikt inzwischen durch Migration so weit globalisiert, dass auch Kreuzberg für Menschen, die äußerlich als Juden erkennbar sind, kein wirklich sicherer Ort mehr ist. Deswegen ist es durchaus eine Tat, in diesem Umfeld einen Stoff auf die Bühne zu bringen, der bereits einen jüdischen Namen im Titel führt und in dem Judentum, Christentum und Islam gleichermaßen ihr Fett abkriegen.

Und doch dauert es nicht lange, bis dass der inhaltliche und auch künstlerische Zugriff auf den Stoff, der ja nichts weniger als eine Abrechnung mit dem mörderischen Potenzial der drei sogenannten Weltreligionen im Sinn hat, sich als derart ungenügend entpuppt, dass man seine Auswahl schon bald als Anmaßung zu empfinden beginnt.

Zwischendurch tritt ein morbider Multifunktionsgeistlicher auf Stelzen auf

Denn was das Autorenduo hier präsentiert, ist inhaltlich dünn und nervt mit einer aufgeplusterten sprachlichen Manieriertheit, mit der hier besonders der in Gestalt eines irren Erlösers auftretende Protagonist „Nathan Messias“, relativ wohlfeile und theologisch nicht sehr tiefgreifenden Sottisen gegen Juden, Christen und Muslime loslässt.

Die Juden werden gegeißelt, dass sie sich als auserwähltes Volks über die anderen Völker stellten, die Christen (manierierterweise „das Volk der Christianer“ genannt), dass sie Gott in drei Personen aufgespalten haben und sich auch in der Nachfolge ihres Heilands höchst ungenügend bewähren. Die Muslime werden ähnlich flach abgefertigt. Zwischendurch tritt ein morbider Multifunktionsgeistlicher auf Stelzen auf (Adolfo Assor), der mit schütterer Stimme in Personalunion Rabbiner, Priester und Imam gibt.

Dazwischen gibt es ebenso klischeelastige Liebes- und Eifersuchtsszenen zwischen der jüdischen Rebekka (Sanam Afrashteh), ihrem muslimischem Geliebten (Ismail Deniz) und einem verbiestert-brutalen Christen namens Micael (Atilla Oener), der am Ende Gott sei Dank von Rebeckas Geliebten erdrosselt wird. Der falsche Messias (Murat Seven) ist ein junger Schnösel im weißen Oberhemd. Wenn auch bemüht glutäugig überzeugt er als religiöser Fanatiker nicht gerade. Regie führte der Filmregisseur Neco Çelik, der mit Zaimoglu/Senkels „Schwarzen Jungfrauen“ 2006 ein furioses Theaterdebüt inszenierte, aber seitdem die in ihn gesetzten Hoffnungen und Erwartungen nicht mehr erfüllte.

Das ist schade, denn der Ansatz des Ballhauses Naunynstraße ist wichtig und richtig. Aber um sich ins Feuer der existenziellen Debatten unserer Zeit zu begeben, ist Demut statt Hybris gefragt. Vielleicht geht es ja nächstes Mal eine Nummer kleiner.

„Nathan Messias“ wieder am 20. und 21. 4., 27.4.–29. 4. 2009, jeweils 20.00 Uhr im Ballhaus Naunynstraße