Liegt ein Fluch auf allen Dingen

INTERNETTHEATER Mit „Ödipedia“ versucht sich die studentische Theatergruppe Antigone 2.0 an einer Netz-Variante von Sophokles‘ Tragödien

Abseits von Berlin. Abseits von Theater. Abseits von Niveau. Die Inszenierung „Ödipedia“ von Benedict Roeser, die am Freitag im Kulturhaus Spandau ihre Premiere erlebte, ist eine absolute Tragödie. Wie damals Theben scheint auch die Schauspielgruppe von einem Fluch befallen. Nur nicht von der Sphinx, sondern von der Talentfreiheit.

Bei diesem Trauerspiel stolpern die Schauspieler zwischen Artpraxis-Lamellen über die Bühne. Der Ödipus in Trainingshose und die Bewohner Thebens in Schwarz schaffen es in keinem Moment, Spannung aufzubauen. Weder inhaltlich noch physisch. Sie versuchen verzweifelt, mal lässig, mal ernst zu sprechen, spielen Gitarre und singen. Es gelingt ihnen nicht. Die Aufklärungsdialoge haben sie in Sportveranstaltungen umgewandelt. Tennisspielen, Liegestützen und ein bisschen Joggen bilden das szenische Pendant zu Ödipus' Versuch, sein Schicksal aufzuklären. Aber dabei wirken sie schlechter als jede Theatergruppe in der Schule. Es ist eher, als wäre ihnen auf ihrer Jugendfreizeit gerade das Bier ausgegangen, und sie wissen nicht, was sie tun sollen.

Dabei ist es ein ehrgeiziges Projekt, diese Inszenierung von Sophokles’ Tragödien „König Ödipus“ und „Ödipus auf Kolonos“. Vier Monate lang konnte, wer wollte, im Internet am Text der Inszenierung mitschreiben. Die Seite www.ödipedia.de ist aufgebaut wie die freie Online-Enzyklopädie wikipedia. Das potenzielle Publikum war aufgerufen, nach Belieben in das Stück einzugreifen, Figuren zu erfinden, Regieanweisungen zu verändern und neue zu geben. In der Theorie war alles möglich. Die Theatergruppe Antigone 2.0 versprach, jeder auf der Internetseite vorgebrachte Wunsch werde auf jeden Fall auf der Bühne umgesetzt.

Im Mittelpunkt steht die „schicksalhafte Beschäftigung mit dem Wissen“, sagen die Mitglieder von Antigone 2.0. Sie alle sind Studenten – der Medizin, der Theaterwissenschaften, der Geografie. Benedict Roeser, der Regisseur, ist 22 Jahre alt; er sieht Theater eher als einen Prozess und als Struktur, die mit Inhalt zu füllen ist, statt als fertiges Produkt. Tausende besuchten die Seite in den vier Monaten, in denen der Text online stand. Letztendlich blieb ein Kreis von 20 Internetnutzern, der sich aktiv an der Schicksalsschreibung des Königs Ödipus beteiligte. So entwickelte sich der Text fragmentarisch, aus verschiedenen Quellen, von verschiedenen Menschen geschrieben – genauso, wie sich Ödipus' Erkennen der eigenen Identität erst nach und nach aus den Aussagen verschiedener Figuren zusammensetzt, denen er begegnet.

Aus dem ganzen Wust an Informationen und Ideen ist jedoch leider eine enttäuschende Abschlussinszenierung geworden. Auch nach der Pause geht es schlecht weiter. Mit Kermit, dem Frosch, und Kasperletheaterpuppen kämpft die Truppe um wenigstens einen Lacher im Publikum. Außerdem gibt es hier das Finale der Quizshow, die schon in den ersten Teil integriert war. Dabei blökt die Sphinx, gewollt lustig, in goldener Glitzerhose Fragen ins Mikrofon. Diese musste das Publikum vor der Veranstaltung selbst aufschreiben. Wenig motiviert ist es, als es um die Antworten geht. Miss Glitter-Sphinx unterhält sich aus Not also lieber selbst. Sie beschwert sich beim Publikum: „Langsam wird's peinlich“. Das trifft jedoch vor allem auf die Inszenierung zu. Nach über dreieinhalb Stunden wird das Publikum vom Fluch befreit. KATHARINA FINKE BENJAMIN WEBER

„Ödipedia“ läuft am 24., 25., 26. und 27. April im Kulturhaus Spandau, Mauerstraße 6, Berlin-Spandau