Verliererlieder von den Felice Brothers: Beunruhigende Nachrichten

Sehnsuchtssongs, Trinkershantys und Mörderballaden: Die Felice Brothers folgen den Ahnen des Folk. Mehr denn je auf dem neuen Album "Yonder Is The Clock".

Die Felice Brothers musizieren ganz in der Tradition von Bob Dylans Folk-Songs. Bild: flickr.com/pincfloit

Pete Seeger, so geht die Legende, soll beim Newport Festival 1965 hinter der Bühne wütend mit einer Axt gewedelt haben, um das Kabel durchzuhacken, das Bob Dylans Gitarre mit der Zukunft der Popmusik verband. Dylans von seinen frühen Fans vielgeschmähter Auftritt im Mekka der Folkies markierte einen Wendepunkt - fortan war der elektrifizierte Star ein Abtrünniger; fortan erfand sich Dylan im Zeichen des Rock immer wieder neu; fortan war er nicht mehr der Protestsänger, der er auch schon vorher nicht so recht war.

Zeitsprung. Knapp vierzig Jahre später treten die drei Brüder Ian, Simone und James Felice zusammen mit ihren ebenfalls schwarz gewandeten Kumpanen Christmas Clapton und Greg Farley auf demselben Newport Festival auf. Sie beschwören Geister aus der großen Zeit von Folk, Country und Bluegrass und klingen mehr nach dem Ur-Dylan, als der es in späteren Jahren je hingekriegt hat. Was Pete Seeger bei seinem Ziehsohn Dylan nicht vermochte, bringt nun ein Unwetter samt Blitz und Donner: Knall, puff, bum, der Stromanschluss ist gekappt, nach dem Paukenschlag herrscht erst mal Stille. Die Band aber lässt sich vom himmlischen Fingerwink nicht aus der Ruhe bringen und spielt ihre Sehnsuchtssongs, Trinkershantys und Mörderballaden einfach unverstärkt weiter.

Was das für Stimmen sind! Als stammten sie aus vergangenen Zeiten, ein bisschen scheppernd, wie von alten Schellackplatten auf uns kommend. Charakterlich ins Grummlige und zugleich Alkoholselige spielende Stimmen hört man; rau und ungehobelt, pausbäckig und altklug sind die Sänger, mit unverschämter Chuzpe große Vorgänger nachahmend. Man muss zurück in die frühen Sechziger, um solche Stimmen zu finden, oder zum Tom Waits der 70er - oder in die Gegenwart zum anachronistischen Wunderkind Conor Oberst von Bright Eyes.

Mit dem sogenannten Weird Folk und Anti-Folk-Szenen unserer Tage haben die Felice Brothers relativ wenig zu tun. Tradition ist für sie kein Selbstbedienungsladen für ironische Spielchen, für sie gibt es keinen Bruch mit der Vergangenheit. Viel verbindet sie mit Bands wie The Band oder mit der Woody-Guthrie-Phase von Wilco und Billy Bragg. The Felice Brothers speisen ihre Musik aus demselben Fundus, aus dem auch Dylan sie gespeist hat: Jenen Liedern der von Harry Smith zusammengetragenen Anthologie amerikanischer Folk-Songs, die Greil Marcus die "Invisible Republic" genannt hat - auch die Felice Brothers kommunizieren mit einer Gemeinschaft aus Geistern, und im Austausch mit den Ahnen kommen neue alte Gedanken hinzu, neue alte Melodien und Harmonien werden aus archaischen Instrumenten geformt. Die Grundlage des Gesprächs aber bleibt immer bestehen: der Tod, Gott, das Leben als Außenseiter, die Straße, Liebe und Leid, Verbrechen und Strafe. Dargeboten mit oder ohne Strom.

Ihr gerade erschienenes fünftes Album innerhalb von nur drei Jahren trägt den Titel "Yonder is the Clock". Die Felice Brothers haben diesen Satz aus dem dunklen, bösen Roman "Der geheimnisvolle Fremde" von Mark Twain stibitzt. Man sieht, dass es um letzte und vorletzte Dinge geht. Krieg und Apokalypse sind nicht fern, die Stimmung eher düster und verbittert. Darüber können auch Waschbrett, Akkordeon und fidele Fiddle nicht hinwegtäuschen. Der Gesang klingt fröhlich, aber was uns die Männer in ihren schwarzen Mänteln und schwarzen Hüten an Nachrichten bringen, ist beunruhigend.

Es fängt vermeintlich lauschig, aber immer bedrohlicher werdend mit "The Big Surprise" an. Jede Strophe zielt auf eine unbenannte Überraschung, die man wohl besser nicht erleben möchte. "Penn Station" ist ein schunkelnder, vom Schlagzeug wie von Fußstampfen vorangetriebener Mitgrölsong, der einen in heiter-gelassene Laune versetzt und dann kurz erschaudern lässt - der Zug, auf den man wartet, dürfte nämlich direkt Richtung Hölle unterwegs sein: "I died in Penn Station tonight", singt Ian Felice so herzzereißend trunken und ins Jodeln geratend, man glaubt es ihm sofort.

Es gibt auf dieser Platte die schmutzigen, improvisiert wirkenden Verliererlieder, die man von den vorangegangenen Alben der Brüder kennt, gesungen teils schon aus der Jenseits-Perspektive. Es gibt Balladen, Walzer, Outlaw-Songs, in denen aus der Gruft noch mal was Wütendes in die Welt hinausgeschrien wird. Und nach Verlorenem wird auch vergeblich, von Bläsern untermalt, geschmachtet: "I miss you more than words could tell." Das klingt alles bekannt, aber ein bisschen ernster gemeint als bei den Alben davor. Unduldsamer. Unbedingter. Selbst der "Ambulance Man" bringt da keine Rettung mehr. Amerika ist bei den Felice Brothers trotz Barack Obama kein Ort zum Wohlfühlen. Die Musik ist von verstohlener Schönheit; die Worte aber reißen die Abgründe auf, in die man allzu leicht stürzen kann.

"Its not dark yet, but its getting there", hat Bob Dylan auf seinem ersten Alterswerk "Time Out Of Mind" gesungen. Schau, da ist die Uhr, sagen die jungen Felice Brothers.

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