Debütant an Bord

ROLLENWECHSEL Für den Bremer „Tatort“ an diesem Sonntag hat der preisgekrönte Dokumentarfilmer Wilfried Huismann das Drehbuch geschrieben. Zuhilfe kam ihm sein Wissen um maritime Missstände

Die Fülle der Details entspringt den Recherchen eines guten Journalisten

Es liegt so nahe, dass man sich wundert: Warum gab es nicht längst einen Bremer „Tatort“ mit einem maritimen Tatort? Zumindest Bremerhaven ist ja immer noch eindeutig eine Hafenstadt und deshalb kann man sich schon darüber wundern, warum die zuständigen Regisseure und Drehbuchschreiber stets das Wasser scheuten. Jetzt aber gibt es sie: die aus der Nordsee gefischte Leiche – auf Eis gelegt von der Mannschaft eines Kutters und schön garniert mit Flundern und Makrelen. (Alles Weitere dazu auf Seite 26 dieser taz.)

Der Bremer Tatort an diesem Sonntag ist auch deshalb anders, weil sich bei ihm zum ersten Mal Wilfried Huismann als Krimiautor versucht. Der in Bremen ansässige Journalist und Filmemacher ist durch seine inzwischen auch international prämierte Dokumentation bekannt geworden. „Lieber Fidel“ – über die deutsche Geliebte des kubanischen Revolutionärs – und „Rendezvous mit dem Tod“ – mit neuen Indizien darüber, wer wirklich hinter dem Attentat auf John F. Kennedy steckte – waren nicht nur voller neuer Fakten, sondern auch filmisch souverän umgesetzt.

In seinem ersten fiktionalen Drehbuch geht Huismann nun aber zurück zu einer seiner ersten filmischen Arbeiten: 1994 präsentierte er in der Fernsehdokumentation „Das Totenschiff“ seine Recherchen zu einem Schiffsunglück, um dieses schließlich als einen mörderischen Versicherungsbetrug zu entlarven. Und so hat er sich auch jetzt ein kleines Selbstzitat nicht verkneifen können: „Dies ist ein Totenschiff“, sagt nun im „Tatort“ ein Seemann, und meint damit die „MS-Karina“, auf der all die Missstände herrschen, um die Huismann bestens Bescheid weiß.

Bei den Dialogen half Huismann der routinierte Drehbuchautor Philip LeZabnik, aber Sätze wie „Der Mörder muss noch an Bord sein!“ klingen doch eher wie von Agatha Christie abgekupfert. Auch dass die Kommissarin schließlich dem Übeltäter bei Sturmgefahr auf offenem Deck und unter schlecht gesicherten Containern noch einmal haarklein erklären muss, was genau er denn überhaupt getan hat, mag bestenfalls dramaturgisch seine Berechtigung haben: Beim „Tatort“ sind die Pinkelpausen der Zuschauer, in denen einige wichtige Plot-Entwicklungen verpasst werden, fest eingeplant.

Andererseits überzeugt der Film durch die Fülle der Details über die oft unsauberen Praktiken von Seeoffizieren und Reedern: Da merkt man, dass sie nicht der Fantasie eines Autoren entspringen, sondern den Recherchen eines guten Journalisten. Eindrucksvoll ist auch die bedrückende Stimmung an Bord. Dieses atmosphärische Erzählen ist die Stärke von Regisseur Florian Baxmeyer, der immer an Originaldrehorten zur besten Form aufläuft, wie schon sein erster Kurzfilm „Die Rote Jacke“ bewies, der ihm 2003 den Studenten-Oscar einbrachte.

Weil Sabine Postel als Kommissarin ohne Befugnisse die meiste Zeit auf dem Pott festsitzt und Oliver Mommsen als Kollege Stedefreund nur an Land herumrecherchieren kann, steht sie mehr im Vordergrund als in früheren Bremer Tatorten. Allerdings kommt Postel schließlich so zerzupft aus dem Abenteuer heraus, dass sich ein Verdacht aufdrängt: Drehbuchautor Huismann mag diese Serienfigur nicht besonders. WILFRIED HIPPEN

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