Die akademische Sinnfrage

DICHTERTREFFEN Wie pflegt man Literatur? Fragte sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung auf ihrer Frühjahrstagung in Berlin

Die drei jungen Mitglieder sollten sagen, ob so eine Akademie heute noch nötig sei

Samstagabend, 20 Uhr, Berlin-Wilmersdorf. Im oberen Foyer des Hauses der Berliner Festspiele präsentierte sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (DASD). Das Wetter war gut. Das mehrheitlich graumelierte Publikum saß erwartungsfroh da, in der Luft lag diese angenehm parfümierte Saturiertheit, wie man sie von Literaturbetriebsveranstaltungen kennt. Auf dem Podium platzierten sich ein Moderator und drei als jung vorgestellte Schriftstellende, die in den vergangenen Jahren Neumitglieder der Akademie geworden sind. Um diese Akademie, um ihre Berechtigung, Ausrichtung und Wirkung sollte es in einem Podiumsgespräch gehen an diesem Abend. Schließlich feierte die Akademie soeben ihren 60. Geburtstag.

Die drei Schriftstellenden heißen Ingo Schulze, Daniel Kehlmann und Felicitas Hoppe, Moderator war der Literaturprofessor und Kritiker Heinrich Detering. Auch er Akademiemitglied. Man blieb also unter sich, auch im Publikum saßen, so schien es, mehrheitlich Akademiemitglieder. Sprachwissenschaftler, Kulturbetriebler, Jäger des verlorenen Wortschatzes. Denn wofür ist die Akademie da? Richtig, um die deutsche Literatur und Sprache zu pflegen und zu vertreten und um Preise zu verleihen. Wie den Büchnerpreis, den wichtigsten deutschen Literaturpreis, und den Voß-Preis für Übersetzung, der am Sonntag an Susanne Lange ging.

Nun ist Sprachpflege aber das eine, Preisverleihungen sind das andere – und dazwischen liegen weitere ungeahnte Möglichkeiten, die eine solche Akademie ergreifen könnte. So sollten die drei jungen Mitglieder auch sagen, was sie von der Akademie erwarten, und was nicht, und ob so eine Akademie überhaupt noch nötig sei heutzutage.

Tolle Frage, gewohnt keck von Detering gestellt, der es sich nicht nehmen ließ, auf Präsidentenwahl, Bundesliga und den Dylan Day hinzuweisen. Felicitas Hoppe, die zwar aussah, als ob sie seit 1.000 Jahren nicht mehr geschlafen hätte, geistig aber einen wachen Eindruck machte, legte sich ins Zeug und meldete, sie würde sehr viel in den Annalen lesen, was überaus interessant sei, aber eigentlich bräuchte man so eine Akademie nicht. Wenn es sie nicht schon geben würde.

Der junge Auflagen-Millionär Kehlmann, der die folgende Stunde mehrheitlich damit zubrachte, die eigene Faust im Gesicht zu haben, und der von allen immer gemochte Schriftsteller Ingo Schulze bemühten sich hingegen, neue Vorschläge zu formulieren oder abzulehnen. Das ging von der Webseite, die sich lexikalisch um besagte Sprachpflege kümmern sollte, bis zur Diskursanregung durch disziplinferne Wissenschaften. Zur eigentlichen Berechtigung der DASD trugen auch sie nichts Wesentliches bei.

Nun ist das mit der Sprachpflege eh so eine Sache. Sprachkritik, besonders wenn sie sich auf den Missbrauch der Sprache in Werbung und Politik bezieht, kann aufklärend sein. Als solche wird sie aber jenseits der Akademie meist besser und wirkungsvoller betrieben, siehe beispielsweise bei Henscheid, Gremliza oder Droste. Auf der anderen Seite neigt Sprachkritik nicht nur oft zum erbsenzählerischen Besserwissertum, sondern auch zum Konservatismus. Wer keine Verhältniswörter benutzt, wie es beispielsweise im Berliner Alltag üblich ist („Ich geh Kino“), gilt als ungebildet. Und nicht etwa als sprachkreativ. Aber egal, trotz der Einwände aus dem Publikum, trotz wichtiger Universitätspolitik, die in und mit der DASD im Bereich der Linguistik betrieben wird – darum ging und geht es nicht.

Um die Preise aber auch nicht. Man tat fast so, als ob sie keine Rolle spielen würden. Worum ging es dann? Es ging nicht um Lesereisen, nicht um Autorenwettbewerbe, nicht um die nicht immer politisch korrekte Vergangenheit der DASD. Es ging im Haus der Berliner Festspiele um ein bisschen Öffentlichkeit, um ein unterhaltsames, mit vermeintlichen und echten Literaturstars besetztes Podium, um mehr nicht. Dass man das Gefühl bekam, im Grunde der nicht wirklich öffentlich sein wollenden Sitzung eines beliebigen Schachclubs beizuwohnen, kann so nicht Wunder nehmen.

Öffentlichkeit oder nicht: In diesem Punkt wurde es kurz einmal spannend. Man muss ja nicht immer Statements verfassen, sagte da Kehlmann zu der hinter den Kulissen wohl stattgefunden habenden Diskussion um Navid Kermani und den Hessischen Kulturpreis. Kein Statement, keine PK, keine Resolution, waren sich die vier auf der Bühne schnell einig; dabei ist Kermani sogar selbst Mitglied in der DASD. Mit den erörterten Meinungen zum Thema aber wollte man nach Hause gehen und jedenfalls nicht die Medien bedienen. Also weiter nichts zu Kermani und Hessen. Akademie und Medien, das schien ein Gegensatzpaar zu sein, warum auch immer. RENÉ HAMANN