Befreit von Steuer und Kriegsdienst

VIELVÖLKERREGION In der Ausstellung „Daheim an der Donau“ in Novi Sad gelingt deutschen und serbischen Institutionen ein überfälliger Beitrag zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte in der serbischen, ehemals autonomen Provinz Vojvodina

VON ERICH RATHFELDER

Jahrzehntelang hätten die Linken in Deutschland sich um alle Minderheiten der Welt gekümmert, nur nicht um die deutschen Minderheiten in anderen Ländern, warf Ende der Achtzigerjahre einmal ein Zeitungskritiker der taz vor. Das Interesse für die deutschen Minderheiten in Osteuropa wurde lange Jahrzehnte in die rechte Ecke geschoben. Und damit wurde auch das Schicksal der Russland-, Rumänien- und auch der Jugoslawiendeutschen nach 1945 in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft kaum aufgearbeitet.

Die Berührungsängste sind immer noch da. Um so bedeutsamer ist eine Ausstellung, die deutsche und serbische Institutionen und Wissenschaftler gemeinsam erarbeitet haben und die zurzeit in Novi Sad und später im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm gezeigt wird. Sie ist durch den Prozess ihrer Entstehung selbst ein Beitrag für die aktuelle Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte in der serbischen, ehemals autonomen Provinz Vojvodina, der ehemaligen „Wojwodschaft Serbien“ des Habsburgerreiches geworden.

Die Vielvölkerregion in der Pannonischen Tiefebene, geprägt und geformt durch die Flüsse Save, Donau und Theiß, ist ein fruchtbares Schwemmland. Sie war die Kornkammer Habsburgs und Jugoslawiens, ein Schmelztiegel von mehr als einem Dutzend unterschiedlicher Nationen mit ihren Kulturen, Sprachen, handwerklichen Kenntnissen. Deren friedliches Zusammenleben wurde vor allem durch die Kriege des 20. Jahrhunderts nachhaltig zerstört. Die Erschütterungen von damals sichtbar zu machen ist Hauptanliegen der Ausstellung.

Die Ausstellung zeigt die Geschichte der Region, die Zeit des durch das ungarische Königtum geprägten Mittelalters, die Eroberung und 150-jährige Herrschaft durch das Osmanische Reich, die Rückeroberung des Gebietes durch Prinz Eugen und damit der Beginn der Neueren Geschichte der Region. 1690 zogen Zehntausende von Serben aus dem Kosovo in die Wojwodschaft Banat. Die Habsburger riefen ihre Untertanen und andere Menschen Mitteleuropas auf, das fruchtbare Schwemmland urbar zu machen, versprachen Steuerfreiheit und Befreiung vom Kriegsdienst. Ungarn, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Kroaten, Deutsche aus Schwaben, Franken, Hessen, Juden, sogar Italiener und andere machten sich auf, um das Land zu besiedeln. Viele Dokumente und Schaubilder zeigen, wie die heute noch typischen Straßendörfer entstanden sind, wie sich das Handwerk entwickelte, wie die Vojvodina als Teil der Pannonischen Ebene zu einer relativ reichen Region durch eine auf eigenen Ressourcen basierende Industrialisierung geworden ist. Und wie das Zusammenleben der Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Sprachen organisiert war.

Mit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen 1918 und dem Königreich Jugoslawien 1928 veränderten sich zwar die Verwaltungsstrukturen, die 330.000 Deutschen und die Ungarn verloren am Einfluss, hatten aber weiterhin eigene Schulen, ein Kulturleben. Vor allem den Deutschen ging es wirtschaftlich gar nicht mal so schlecht, waren sie doch ein Scharnier zu den wirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reiches, das an den Waren der Vojvodina interessiert war. Der in Leipzig wirkende Wissenschaftler Carl Bethke zeigt in seinem Beitrag über die Zwischenkriegszeit auf, dass es den Nazis damals nicht unbedingt und sofort gelungen ist, die deutsche Volksgruppe gleichzuschalten. Ein großer Teil der Deutschen verhielt sich eher indifferent, es gab auch linke Strömungen der Arbeiterbewegung, was sich allerdings mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 änderte.

Dieses Datum bezeichnet die dramatische Zeitenwende in der Region. Nun wurden die Juden verfolgt und 90 Prozent dieser Volksgruppe in einem Konzentrationslager bei Belgrad ermordet. Die Nazis in der deutschen Volksgruppe übernahmen die Macht, die SS-Einheit „Prinz Eugen“ war für viele Verbrechen der Nazis in der Region verantwortlich. Und nach 1945 war die Rache der siegreichen Partisanen fürchterlich. 50.000 Deutsche wurden direkt erschossen oder in Lagern ermordet, zehntausende büßten mit Zwangsarbeit. Die Deutschen wurden enteignet, vertrieben – wurden also kollektiv, ohne Ansehen der Person, bestraft.

Es war kurz nach dem Bombenkrieg der Nato gegen Serbien, als ich bei einem Besuch in Novi Sad – ja, dort, wo die Nato die Brücken über die Donau zerstört hatte – einige der überlebenden noch 3.200 Deutschen der Region traf. Und die damals neue Hoffnung schöpften. Denn der wichtige sozialdemokratische Regionalpolitiker, Nenad Čanak, versprach, künftig die Geschichte der Region von allen Seiten beleuchten zu wollen und den Status der Minderheiten zu verbessern. Die gemeinsame Ausstellung „Daheim an der Donau“ repräsentiert die Vojvodina ganz im Sinne Čanaks als liebenswerte europäische Region mit wechselvoller Geschichte, deren Kenntnis für alle wieder Zukunft schafft.

■ Bis 23. August, Novi Sad; vom 12. September bis 1. Januar 2010 Donauschwäbisches Zentralmuseum, Ulm