Zukunftsmusik

SUBVENTIONSPOLITIK FRANKFURT Die freie Tanz- und Theaterszene in der Hessenmetropole fordert verbesserte Arbeitsbedingungen

Heute wird in wechselnden Netzwerken gearbeitet. Nur trägt finanzielle Förderung dem keine Rechnung

„Es reicht nicht, seine eigene künstlerische Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen“, findet der 27-jährige Tänzer Norbert Pape. „Man muss etwas für die Szene und für die Stadt tun, in der man sich bewegt.“ Es ist ein starkes Statement, wenn Pape seine politische Arbeit in Frankfurt zurzeit als wesentlichen Teil seiner künstlerischen begreift. Und damit ist er nicht allein: Über 60 Künstler haben ein Forderungspapier unterschrieben, das für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen freier Theatermacher in Frankfurt eintritt.

Es heißt „Perspektiven 2013“ und ist ein bemerkenswertes Projekt: Über ein halbes Jahr haben Künstler verschiedenen Alters und Hintergrundes zusammengesessen und Fördermodelle anderer Städte studiert. Denn sie finden die Frankfurter Verhältnisse untragbar: „Förderkriterien sind an einem Theatermodell aus den Achtzigerjahren ausgerichtet, als die freie Szene entstand“, so Pape. Heute werde weniger in festen Ensembles als in wechselnden Netzwerken gearbeitet, eher prozess- als produktorientiert: „Künstlerische Konzepte entstehen in der Begegnung und Bewegung“, so Pape. „Wir brauchen eine Förderung, die dem Rechnung trägt.“ In Städten wie Berlin, Hamburg und München wurden die Förderstrukturen für freies Theater bereits entsprechend überarbeitet und beispielsweise Konzeptförderungen installiert.

Auch Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU) hatte bei seinem Amtsantritt verlautbaren lassen, die bestehenden Strukturen überprüfen und gegebenenfalls ändern zu wollen. Dies ist bisher nicht geschehen. Jährlich 4,8 Millionen Euro stehen für institutionelle Förderung, also für Häuser und Ensembles, zur Verfügung, jedoch nur 450.000 Euro für Projektförderung. Damit ist ein Großteil der Mittel gebunden an Institutionen, die seit Jahren etabliert sind. Der Nachwuchs hat das Nachsehen. In einem ersten Schritt fordern die „Perspektiven 2013“ eine Anhebung des Etats für Projektmittel um 500.000 Euro. Langfristig solle die lokale Szene durch eine unabhängige Jury evaluiert und das Geld nach künstlerischen Kriterien neu verteilt werden. Damit soll eine aktive Kultur- und Subventionspolitik an die Stelle des „Gießkannenprinzips“ treten. Die Einsetzung einer Jury böte auch die Möglichkeit, Kriterien öffentlich zu diskutieren und mit ihnen die Frage, was für ein Theater die Stadt braucht.

In einer ersten Reaktion auf die „Perspektiven 2013“ hat Semmelroth dem Gedanken aber bereits eine Absage erteilt, er wolle sich die Aufgabe der Mittelvergabe nicht nehmen lassen. In Frankfurt bevorzugt man offenbar informelle Prozesse vor öffentlichen. Deutlich wurde das schon 2007 bei der Frage, wer der Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger folgen sollte. Anstelle, wie dies andernorts praktiziert wird, ein unabhängiges Expertengremium zu berufen, führte das Kulturamt heimlich, still und leise Verhandlungen mit dem damaligen Chefdramaturgen des Deutschen Theaters Berlin, Oliver Reese. Und stellte die Stadtöffentlichkeit schließlich vor vollendete Tatsachen.

So wird die öffentliche Debatte nun von den Künstlern selbst vorangetrieben, die eine kritische Auseinandersetzung über bestehende Fördersysteme und Arbeitsbedingungen suchen. Das war nicht immer so: Nach der radikalen Streichungspolitik des letzten Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff, die unter anderem zur Schließung des Theaters am Turm (TAT) im Mai 2004 führte, lag die freie Szene in einer Art Schockstarre. Bis einige Netzwerke und Initiativen den Dialog beförderten, wie beispielsweise der umtriebige Landesverband für professionelles Freies Theater in Hessen (LaProf), der freie Theatermacher systematisch an einen Tisch bringt.

Mit dem Erfolg, dass sich, genau fünf Jahre nach dem Ende des TAT, Künstler energisch für ihren Standort einsetzen. „Es ist eine sehr spannende Zeit in Frankfurt“, erzählt Norbert Pape, „es gibt noch keine Szene, aber es entwickelt sich etwas.“ Damit diese Impulse nicht wieder im Sande verlaufen, wünschen sich die Künstler eine erkennbare kulturpolitische Vision: „Die Politik hat die Aufgabe“, so Jan Deck von LaProf, „Visionen zu schaffen, eine Szene zu beobachten und zu merken, dass sich die Arbeitsweisen verändern. Neue Umgangsformen werden gebraucht. Die Künstler müssen spüren, dass sie hier gewollt werden.“

Dies könnte bald geschehen. Angeregt durch das Forderungspapier, wird im Kulturamt derzeit die Einführung einer Konzeptförderung diskutiert, auch gezielte Nachwuchsförderung soll in den Blick gerückt werden. Eines haben die „Perspektiven 2013“ schon erreicht: Es wird endlich wieder diskutiert in Frankfurt. ESTHER BOLDT