Flieger, grüß mir den Kreml

HIMMELFAHRT Am 28. Mai 1987 landete der 19 Jahre alte Sportflieger Mathias Rust nahe dem Roten Platz in Moskau. Das Museum für Verkehr und Technik stellt jetzt das Originalflugzeug, eine Cessna 172, aus

„Ich war eine leblose Hülle, die kein Leben in sich verspürte“, sagte Rust über sich und seinen Moskau-Flug

VON DETLEF KUHLBRODT

Seltsame Vögel schreiben Geschichte, und Schnapszahl-Jubiläen sind schön: Am Himmelfahrtstag vor 22 Jahren, um 19.30 Uhr – es war noch hell, das Wetter freundlich, die Diskussion über Nato-Nachrüstungsbeschluss und SS 20 in aller Munde – flog der 19-jährige Privatpilot Mathias Rust aus Wedel mit einer gemieteten Cessna 172 nach Moskau, kreiste eine Weile über der Stadt, um dann nahe dem Roten Platz zu landen. Experten sprachen von einer fliegerischen Meisterleistung.

Wenige Minuten nach seiner Landung verließ der tollkühne Pilot sein Flugzeug und verteilte Autogramme. Milizionäre standen kichernd daneben. Später kamen höhere Polizeioffiziere in schwarzen Limousinen und Lastwagen, überpinselten das deutsche Kennzeichen des Flugzeugs und führten den Piloten ab. Der damalige bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher soll gelacht haben. In Polen gründete sich eine feministische Gruppe namens „Mathias Rust Kommando“. In der Sowjetunion führte das Husarenstück zu innenpolitischen Konsequenzen. Der sowjetische Verteidigungsminister Sergej Sokolow und der Chef der Luftabwehrtruppe Alexander Koldunow wurden von Michail Gorbatschow verantwortlich gemacht und „auf eigenen Wunsch in den wohlverdienten, frühzeitigen Ruhestand“ entlassen. Angeblich standen sie der Perestroika-Politik skeptisch gegenüber. Außerdem hätten sich zahlreiche Offiziere wegen der Affäre das Leben genommen, berichtet der Schriftsteller Wladimir Kaminer, der seinerzeit in einer Raketenstellung vor Moskau seinen Militärdienst absolvierte. Noch heute grämt er sich: „Ich habe versagt, ich hätte ihn abschießen müssen.“

Der Sportflieger teilte mit, er habe mit seiner Aktion den Weltfrieden fördern und mit Gorbatschow über Frieden reden wollen. „Ich war 19 und sehr politisch“, sagte er im Gespräch mit der englischen Zeitung Guardian. „Ich glaubte, das Flugzeug sei der Schlüssel zum Frieden. Ich könnte es nutzen, um eine imaginäre Brücke zwischen Ost und West zu bauen.“

Rust wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, kam nach diplomatischen Bemühungen nach einem Jahr frei und verkaufte seine Geschichte für sechsstellige DM-Summen. Berichten nach muss man sich ihn als Nerd vorstellen. „Ich war eine leblose Hülle, die kein Leben in sich verspürte“, sagte Rust in der Berliner Morgenpost, um zu erklären, aus welcher Stimmung heraus er 1987 nach Moskau startete. „Ich war einsam und enttäuscht.“

Nach Kerkerhaft und großem Ruhm ging es bergab: im November 1989, während seines Zivildienstes, stach er eine Schwesternschülerin nieder, weil sie ihn nicht küssen wollte. Er wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, von denen er fünf Monate absitzen musste. Dann begab er sich auf Reisen, lernte auf Trinidad seine spätere Frau Athena kennen und wurde Hindu. Mitte der Nullerjahre wurde er wegen Betrugs verurteilt, weil er mehrmals Möbel bestellt hatte, ohne zu zahlen.

Dann gründete Rust eine Organisation namens „Orion and Isis“, deren anonyme 25 Mitglieder – Wissenschaftler und Friedensnobelpreisträger laut Rust – sich um den Frieden unter anderem im Nahen Osten kümmern sollten. Laut Bild lebt er mittlerweile zurückgezogen als Single in Berlin und verdient sein Geld als professioneller Pokerspieler.

Die Cessna 172, die Rust berühmt machte, ist in der Welt herumgekommen: Zunächst wurde sie an eine Kosmetikfirma verkauft, die damit Werbeflüge veranstalten wollte, was aus Furcht vor deutsch-russischen Verstimmungen unterblieb. Nach Kurzaufenthalten in München und Paris wurde sie 1988 nach Japan verkauft und war 15 Jahre lang vor einem Sportclub in Utsunomiya aufgestellt, bevor sie – schon etwas verwittert – in ihre Einzelteile zerlegt und in einer Lagerhalle abgestellt wurde. Dort fanden sie Mitarbeiter des Museums für Verkehr und Technik und erwarben sie „für den Preis eines Golfs“.

Ab heute ist sie nun im Museum für Verkehr und Technik als Teil der Ausstellung „Fliegen über den Eisernen Vorhang“ zu sehen. Mathias Rust ist zu der Ausstellung „ausdrücklich ausgeladen“, wie das Hamburger Abendblatt berichtet. „Wir werden diesem Mann kein Forum bieten“, sagt Heiko Triesch, der die Cessna in Japan gekauft hat. Zeitgleich zeigt das Kölner „Neue Kunstforum“ eine Rauminstallation von Emma Rushdon und Derek Tyman, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigt: Zu sehen ist die naturgetreue Nachbildung einer Cessna 172, geschmückt mit goldenen Motiven, die Rust selber entworfen hat und die für Liberté, Egalité und Fraternité stehen sollen.