Dramatiker des Jahres: An ihnen wächst, was Theater kann

Elfriede Jelinek und René Pollesch bei den Mülheimer Theatertagen.

Szenenfoto aus Elfriede Jelineks Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)": Die Schauspieler Steven Scharf (l), Katja Bürkle (m) und Hans Kremer (r). Bild: dpa

Die schon wieder! Elfriede Jelinek und René Pollesch sind bei den Theatertagen in Mülheim an der Ruhr zum wiederholten Male ausgezeichnet worden. Die österreichische Autorin wurde für ihr Stück "Rechnitz" zum dritten Mal zur Dramatikerin des Jahres gewählt, René Pollesch, auch schon zweifacher Preisträger, bekam den Publikumspreis für "Fantasma".

Beide Autoren verbindet, dass ihre Texte tatsächlich erst in der Aufführung zu jenen aufregenden Sprachwesen werden, die Intellekt und Gefühl auf vielen Ebenen in Bewegung setzen. Beide bewegen sich da, wo der Diskurs tobt, Jelinek bei Bankenskandalen und gesellschaftlichen Verdrängungen, Pollesch bei den politischen Prägungen des Privaten. Was sie unterscheidet, ist, dass Jelinek ihre gewaltigen Textmassive verschiedenen Regisseuren anvertraut mit einer großen Freiheit der Wahl, welchen Zugang sie legen, welche Figuren sie zu Sprechern werden lassen. Pollesch dagegen inszeniert seine Stücke selbst und nimmt den Beruf des Schauspielers und anderer Theaterarbeiter als Rolemodel für das Leben im Kapitalismus. Gerade in dieser Gegensätzlichkeit erlauben sie beide dem Theater, seine Möglichkeiten bis zum Anschlag auszuschöpfen. Deshalb ist ihre Auszeichnung so einleuchtend.

Jelineks Dramen zu lesen oder auf der Bühne zu sehen, ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. An der Lektüre kann man verzweifeln, wie eine Sprachlawine walzt sie den Leser platt, von Wiederholungen und Abschweifungen durchdrungen, man starrt mit Panik auf die noch kommenden Seiten. Und dann die große Verwandlung auf der Bühne, ob "Rechnitz" in der Regie von Jossi Wieler in den Kammerspielen in München oder "Die Kontrakte des Kaufmanns" von Nicolas Stemann in Köln (und ab September in Hamburg): diese Musikalität der Sprache, der Rhythmus der Bilder, diese Vielzahl von Charakteren und Stimmen. Es scheint jedes Mal ein Wunder, bei dem das Theater beweist, was nur das Theater kann.

"Rechnitz (Der Würgeengel)" zum Beispiel, ein Stück über das Verschweigen eines Kriegsverbrechens und die Verkleidungen des faschistischen Denkens in der Gegenwart: Gerade die Frivolität des Spiels lässt die Ungeheuerlichkeit dessen, was da verhandelt wird, aufscheinen. Das Stilbewusstsein Wielers wird gerade da am produktivsten, wo er inhaltlich und politisch die schwersten Brocken zu stemmen hat. Die Regisseure wachsen sozusagen an Jelinek in ihre besten Inszenierungen hinein: Auch das macht sie als Dramatikerin so wichtig.

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