Dasein ist kein Mannschaftssport

ELEFANTENTREFFEN Im Berliner Ensemble sprach Claus Peymann mit Peter Sloterdijk über des Philosophen aktuelles Werk „Du musst dein Leben ändern“. Um existenzielle Fragen ging es nebenbei natürlich auch noch

Wer wie Sloterdijk mit dem Ernstfall argumentiert und die Krise als einzige Instanz beschwört, will betrügen

VON DIRK KNIPPHALS

Claus Peymann glaubt erstaunlich naiv an die Figur des Weisen. Politiker sind für ihn allesamt Knallchargen, Manager prinzipienloses Pack; aber dass Künstler und Intellektuelle „uns Menschen“ etwas mitzuteilen haben, daran glaubt der Intendant unbedingt. Üblicherweise verhindert Peymann mit solchen pauschalen Bekenntnissen bei Podiumsdiskussionen gerne ein analytisches Sprechen darüber, was die Schriftsteller denn nun genau zu sagen haben und was das konkret mit unserer Zeit zu tun haben könnte; Differenzierungen sind nicht sein Ding. Am vergangenen Montagabend aber erwies sich gerade diese Naivität als äußerst produktiv.

Der Philosoph Peter Sloterdijk war auf der Bühne des Berliner Ensembles zu Gast, um aus seinem neuen Buch „Du musst dein Leben ändern“ zu lesen. Peymann, der Hausherr, machte daraus ein Gipfeltreffen. Durch eine achttägige Lektüre des gut 700-seitigen Werkes hatte er sich vorbereitet – acht Tage, „inklusive Pfingsten“, unterbrochen nur durch einen Besuch des Pokalendspiels (Peymann ist Werder-Fan). Was er dann beim öffentlich Gespräch von Sloterdijk herauskriegen wollte, gipfelte in der Frage: Sind Sie ein Weiser?

Eine etwas seltsame Frage. Aber man mochte Peymann dafür. Schließlich drückt sich in ihr ganz unverstellt aus, was viele Menschen an Sloterdijk fasziniert, den, wie es aussieht, derzeit einzigen Denkstar, den wir haben. Peymann fragt sich das offenbar wirklich. Denn Sloterdijk redet in eindringlichen Metaphern von der großen gegenwärtigen Krise, die weltweit herrscht, davon, dass unbedingt sofort etwas geschehen müsse, um die Menschheit zu retten – alles Sachen, die Peymann einem Weisen gemäß findet. Aber es gibt auch dieses Zynische, dieses intellektuell Zockende an Sloterdijk, das weit ausholende Assoziative – und das irritiert Peymann.

Sloterdijk antwortet auf so etwas natürlich nicht direkt, sondern redet in schönster Sloterdijk-Manier drumherum. Bei der Umspielung einer Antwort also lief der Philosoph zu großer Form auf. Schließlich weiß er, dass man sich mit dem Anspruch, ein Weiser sein zu wollen, lächerlich macht. „Der Ruf, ein Weiser zu sein, führt direkt ins spirituelle Antiquariat“, sagte Sloterdijk. Aber es gebe da schon Fragen hinsichtlich seines Selbstverständnisses, die er sich derzeit eben selber stelle: „Warum begnügst du dich nicht damit, philosophisches Kabarett zu machen? Warum musst du – in Zeiten, in denen alle nur auf Unterhaltung warten – einen Kanal aufmachen, durch den etwas sehr Ernstes hindurchgeht?“

Tja, wieder eine gute Frage. Warum eigentlich? Zur Beantwortung deutete Sloterdijk ganz vorsichtig und mit allerlei Rückzugsmöglichkeiten an, dass er tatsächlich glauben könnte, dass derzeit der Ernst der Weltlage durch ihn hindurch wirke. Platt gesagt, er kann also zumindest nicht ausschließen, tatsächlich ein Weiser zu sein.

Bei nicht so eloquenten Denkern würde man sofort „Hybris“ rufen. Bei so einem versierten Weisendarsteller wie Sloterdijk braucht man dafür etwas länger. Nach vielen Metaphern, Zitaten und Bonmots („Dasein ist für das moderne Individuum kein Mannschaftssport“) dachte man sich das alles schließlich so: Selbstverständlich weiß Sloterdijk, dass er nicht wissen kann, ob tatsächlich der Weltgeist aus ihm spricht. Aber er weiß auch, dass man sich und dem Publikum allerlei einreden kann – und dass man das in den Dienst einer guten Sache stellen könnte. Das versucht er nun – vielleicht ja nur probehalber – dahingehend durchzuspielen, dass man sich erstens intellektuell bereit machen müsse für die großen Aufgaben, die vor uns liegen, und dies zweitens tun könne, indem man Sloterdijk liest. Deshalb der hohe Ton, deshalb dies Ausufernde dieser Prosa, deshalb der gigantische Aufwand an Autoritätsargumenten („Heidegger wird später sagen, dass…“).

Es bleibt aber dabei, wer systematisch mit dem Ernstfall argumentiert – und das tut Sloterdijk, indem er die Krise als allein wirklichkeitssetzende Instanz beschwört –, der will betrügen. Er will seinen eigenen Ansatz vor Argumenten immunisieren und mögliche andere Ansätze von vornherein delegitimieren. Großes Kino war das Gipfeltreffen dennoch. Was man Sloterdijk lassen muss: Theatralischer als er denkt zurzeit keiner, und Peymann war dafür ein prima Sidekick. Einen Moment lang dachte man sogar, dass ein Zwei-Personen-Stück hübsch sein könnte. Ein Stück, in dem Peymann immer die einfachen, großen Fragen stellt: Sind Sie ein Weiser? Wie ist die Lage? Ist die Welt noch zu retten? Wie ist die Welt zu retten? Und in der Sloterdijk immer aufs Neue seine wie geschmiert laufende Wortspiel- und Metaphernmaschine anschmeißt: Wir haben 30 Jahre lang im Zustand der Frivolität gelebt! Angesichts der Krise können wir uns Beliebigkeit nicht mehr leisten! Durch die Krise kommt die Realität wieder! Wir müssen uns auf Augenhöhe mit der Weltlage bringen! Was wir brauchen, ist ein Eros des Unmöglichen!

So ein Stück könnte Spaß bringen. Mehr als ein Stück würde daraus aber kaum werden. Und dann könnte es wohl auch ewig dauern. Denn die beiden Protagonisten, dachte man nach ihrem Auftritt, werden in ihren jeweiligen Rollen niemals müde werden. Sich entwickeln, gar folgen würde aus ihren Dialogen aber auch nichts. Auch Weise haben ihre blinden Flecken.