Architektonischer Familienroman

EINHEITSDENKMAL Gerrit Engels großartiger Bildband „Berlin – Photographien“

234 Berliner Gebäude hat Gerrit Engel auf immer gleiche Art und Weise fotografiert: sachlich, nüchtern, vor weißem Himmel, in reduzierter Farbigkeit und mit gleichmäßiger Tiefenschärfe. Chronologisch angeordnet, erlauben die Fotografien die städtebauliche Entwicklung der Stadt vom Anfang des 13. Jahrhunderts – von der Nikolaikirche, um 1230 – bis ins 21. Jahrhundert hinein zu verfolgen, bis zum Galeriehaus Hinter dem Gießhaus, 2008 von David Chipperfield gebaut.

Trotz der geradezu wissenschaftlich-klassifikatorisch anmutenden Anlage der Dokumentation, gewinnen die Bauten in ihrer Auflistung angemessenes Pathos, summiert sich die Auswahl zu einem absolut spektakulären Katalog der Berliner Architektur. Vielleicht, weil jedes Haus mit einem Bild beschrieben ist, das man, wie der Architekt Matthias Sauerbruch in seiner Einleitung schreibt, „am besten als Porträtfotografie bezeichnen sollte“. Ja, es könnte daran liegen, dass man den großartigen Bildband wie eine Art Familienalbum liest, in dem man überrascht all die sonderbaren, exzentrischen, aber auch die braven und angepassten Charaktere der Sippschaft entdeckt.

Natürlich gäbe es diesen bauhistorischen Familienroman Berlins so nicht, wäre die Stadt noch immer in zwei Hälften geteilt. Das Einheitsdenkmal, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer: Hier liegt es vor.

BRIGITTE WERNEBURG

■ Gerrit Engel: „Berlin – Photographien“. Mit einer Einleitung von Matthias Sauerbruch und baugeschichtlichen Kommentaren von Detlef Jessen-Klingenberg. Verlag Schirmer/Mosel, München 2009, 278 Seiten, 234 Farbtafeln, 78 €