Rap und Reflexion

WOHER, WOHIN „Manche nennen uns Schmarotzer“, rappen fünf junge Männer aus Angola, Afghanistan und Deutschland und tanzen in der Tanzfabrik

■ Zum vierten Mal haben das Maxim Gorki Theater und die taz zu einem Wettbewerb eingeladen: Wer schreibt die packendste Kritik zu Sebastian Baumgartens Inszenierung der Romanrevue „Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen“? 28 Studenten haben mit sich mit großem Engagement beteiligt, über Heinrich Manns Roman, die Theaterfassung, Musik und Videoeinspielungen und die vielen Assoziationsebenen des Stoffs nachgedacht und geschrieben. Wir danken ihnen. Die nebenstehende Kritik von Stefanie Klein ist unsere Favoritin und wird deshalb hier abgedruckt. KBM

Raumgreifende Gesten skizzieren das Gelände, Beats legen das Fundament, und Silbe um Silbe wachsen die Mauern: Fünf Tänzer errichten im Probenraum der Tanzfabrik in Berlin-Kreuzberg ihr Traumhaus: mit „fünfzig Zimmern“ und einer „sicheren Pforte“. „Da kann man sich zurückziehen, wenn mal was passiert“, hofft Nelson Adao Gonga. Passiert ist dem 20-Jährigen aus Angola so einiges: Mit 14 Jahren alleine in ein Land zu emigrieren, das ihn nicht wollte, zum Beispiel.

Im Rahmen des Performance-Festivals In Transit, das bis zum 21. Juni 2009 in Berlin stattfindet, haben sich fünf junge Männer aus Angola, Afghanistan und Deutschland mit dem Choreografen Maik Riebort an eine autobiografische Performance herangetastet. Über ihre persönlichen Erfahrungen hinaus geben sie das Lebensgefühl einer Berliner Generation wider, die sich als „irgendwie multi“ versteht.

Wenn diese fünf etwas verbindet, dann ist es der bürgerliche Wunsch nach einem Haus, nach einem „normalen“, selbstbestimmten Leben. Die Suche nach dem Sinn, nach der eigenen Identität treibt die Tänzer um – und kreuz und quer durch den Raum. Mal treten sie hinter Rollen zurück – sind Träumer, Denker, Wütende, Provokateure, Tänzer; mal blitzen ihre sehr persönlichen Erfahrungen von Anonymität, Existenzangst und Selbstzweifel durch. „Ey, wie sieht meine Zukunft aus?“, fragt Milton Paixao ins Publikum. „Gibt es überhaupt eine Zukunft, häh?“

Immer wieder stoßen sie an die Grenzen des Sagbaren. Die Erinnerung an den Tag, der sein Leben für immer veränderte, packt Nelson in einen Satz wie in einen zu kleinen Koffer: „Ich bin in Angola alleine ins Flugzeug gestiegen, sieben Stunden später in Deutschland aufgewacht und nie wieder zurückgekehrt.“ Doch der Tanz spricht eine eigene Sprache: Ahmad, Milton, Jelson und Nelson stürzen gleich darauf zu Boden. Erst Adrian Krauses Trompete haucht ihnen wieder Leben ein.

Tagelang gekotzt, geweint

Nach der Performance öffnet Nelson in einem Gespräch die Rollladen seiner Erinnerung ein Stück weiter: „Es war schrecklich: Meine Eltern hatten ihre Jobs verloren und mein Onkel hat mich ins Flugzeug gesetzt. Ich habe gekotzt und geweint.“ Die jungen Männer erinnern sich an die Kriege in ihren Heimatländern in allen Details.

Maik Riebort verzichtet bewusst auf eine eindeutige Choreografie und hat stattdessen ein offenes System geschaffen, das den Jugendlichen Raum für ihr eigenes spontanes Spiel gibt: „Sie selbst sollen die Gratwanderung zwischen Öffentlichem und Privatem bestimmen.“

Die fünf jungen Performer tanzen und musizieren schon jahrelang, unter anderem in der Jugendtanzkompanie Lissanga, doch nie zuvor haben sie bei einer Performance so viel von sich preisgegeben. Zum ersten Mal seit ihrer Ausreise haben sie so intensiv über die Veränderungen in ihrem Leben nachgedacht und gesprochen.

„Manche nennen uns Schmarotzer / damit haben wir jeden Tag zu kämpfen. / Scheiß egal, was sie denken / bleiben wir hier!“ Rappend ziehen die fünf am Publikum vorbei, das rundum an den Wänden lehnt – in Augenhöhe. Mit ihrer Erscheinung stellen sie alle Klischees auf den Kopf: Urberliner Adrian mit Afromähne und Afro-Shirt, Neuberliner Nelson Adao Gonga im Trikot vom 1. FC Marienfelde.

„Ist es nicht viel wichtiger, wohin ich gehe, als woher ich komme?“, fragt Adrian und die anderen wiegen sich im Takt seiner Worte.

„You can change life in a danceclass“ ist das Motto des britischen Choreografen Royston Maldoom, der mit sozial benachteiligten Kindern rund um die Welt Tanzprojekte einstudiert und durch den Film „Rhythm is it!“ (2004) bekannt geworden ist. Wer die Gruppe erlebt, glaubt an die verändernde Kraft des Tanzes. Schon schmieden die leidgeprüften Skeptiker Pläne für eine Deutschlandtournee und – warum auch nicht – einen Austausch mit Südafrika.

CHRISTINA FELSCHEN