Später Streik gegen die Bologna-Uni

Die berechtigten Fragen, auf die „Bologna“ verheerende Antworten gab, ließen sich so formulieren: Wie reagiert ein an vielen Stellen hoffnungslos dysfunktional gewordenes Bildungssystem auf den rasanten Strukturwandel der letzten Jahrzehnte? Wie positioniert man, genauer gefragt, die Universitäten in einer neoliberalen Gesellschaft, die immer massiver Effizienzdruck erzeugt? Die Antwort darauf gab in einem demokratisch kaum legitimierten Coup die europäische Bürokratie. Die Erziehungsminister von 26 Ländern machten vor genau zehn Jahren auf einer Konferenz in Bologna Revolution. Das Ergebnis: die Verwandlung der Universität in eine Institution, die vor allem eines produzieren soll: Konformität für den Markt.

Abstrakt heißt das: Vergleichbarkeit schaffen. Nicht de facto, aber dem Namen nach. Also Vereinheitlichung der Abschlüsse zu Bachelor und Master. In manchen Fächern eine sinnvolle Sache, in anderen alles andere als das. Angleichung innerhalb der einzelnen Fächer bedeutet in der Regel Verschulung. In manchen Bereichen kein großes Problem, in vielen Geisteswissenschaften eine Katastrophe. Viele brachen zuvor ihr Studium ab, verloren im Massenbetrieb. Die Antwort darauf lautet nicht in erster Linie Beratung oder gar Mitbestimmung, sondern: Disziplinierung, Zeitdruck, Schließung von Freiheitsräumen.

Das Ergebnis sind Flexibilitätsverluste an allen Ecken und Enden. Ein zuvor schon zentrales Problem, der Auseinanderfall von Forschung und Lehre, wird noch größer, weil einzig Forschung wirklich prämiert wird. Der erwünschte Wettbewerb der Universitäten soll Vielfalt erzeugen, sorgt aber für die bizarre Produktion sinnlos origineller Master-Studiengänge. So heben sich Angleichungseffekte wieder auf. Die Exzellenzinitiative produziert am einen Ort absurden Luxus, andernorts verrottet die Infrastruktur. Es gab und gibt Freiheiten in der Ausgestaltung der Regeln. Sie werden viel zu selten genutzt. Und zumeist produzieren die eher stillschweigenden Widerstände, etwa in der Überfrachtung mit Lerninhalten, wieder nur Dysfunktionalität.

Das Grundproblem der Reform ist, dass sie grundsätzlich nicht Mündigkeit unterstellt und fördert, sondern Regelungsbedürftigkeit. Bologna ist eine Reform aus dem Geist der Bürokratie. Offenheit, Flexibilität, Abweichung erscheinen in diesem System als Drohung, nicht als Chance. Die Bologna-Uni macht nicht notwendig dumm, aber sie will und produziert Unfreiheit. Der Streik kommt beängstigend spät. EKKEHARD KNÖRER