Jimi Hendrix der Beduinen

WELTMUSIK Authentizität war gestern. Doueh und Omar Souleyman bringen Tradition und westliche Einflüsse ganz neu zusammen

„Der Poet“ ist eine traditionelle Figur in der syrischen Musik, die das Geschehen im Publikum analysiert

VON ANDREAS HARTMANN

Als Baamar Salmou, der sich Doueh nennt, anfängt, die elektrische Gitarre hinter seinem Rücken zu spielen, gibt es kein Halten mehr. Heftiger Szenenapplaus setzt ein für den Virtuosen an seinem Instrument, der ganz ohne Plektron spielt und nicht nur an dieser Stelle des Konzerts sein erklärtes Idol Jimi Hendrix zitiert.

Doueh kommt aus Marokko, aus einem Teil des Landes, der sich West-Sahara nennt. Die Region war einst eine Kolonie Spaniens. In dem Film „Palace of the winds“, der im Rahmen des Auftritts von Doueh im Festsaal Kreuzberg gezeigt wird und der die eigentümliche Musik der in diesem Landstrich entstandenen Saharawi-Kultur mit Bildern der Umgebung unterlegt, sieht man eine karge Wüstenlandschaft, in der sich Beduinen mit Kopfbedeckungen gegen den Wüstensand schützen.

Hier lebt also Doueh, ein Profimusiker, der für Hochzeiten gebucht wird und einen Plattenladen betreibt, in dem freilich nur Kassetten erhältlich sind, immer noch der führende Tonträger in diesen Breitengraden. Doueh hat gerade eine vierwöchige Tour durch England hinter sich, erstmals überhaupt präsentiert er den eigenwilligen Sound seiner Gruppe einem westlichen Publikum. Präsentiert wird er von dem Label Sublime Frequencies aus Seattle, das schon seit Jahren Feldforschung in entlegenen Regionen betreibt und auf der Suche ist nach hybriden Formen von Musik, die das Verlangen nach Authentizität innerhalb der Weltmusikgemeinde unterwandern.

Wer hätte schon gedacht, dass in der Wüste Marokkos Frauen in bunten Gewändern zu psychedelischen Klängen einer Bluesgitarre tanzen, die so zersplittert klingt wie bei Captain Beefheart, und dass bei Festen auch schon mal arabische Klänge mit dem Geknatter einer Drummaschine unterlegt werden? Derartiges sieht man in „Palace of the Winds“, einem Film, der nebenbei eindrucksvoll belegt, dass Globalisierung eben nicht endlose Gleichmacherei bedeuten muss, sondern in so rasanter Geschwindigkeit an den Rändern der offiziellen Wahrnehmungen von Landeskulturen neue individuelle Ausdrucksformen erzeugt, dass der Ethnologe kaum noch hinterherkommt.

So ist es auch zu erklären, dass für ein westliches Publikum ein Typ wie Omar Souleyman, der nach Doueh auftritt und eindeutig Star des Abends ist, aus einem Paralleluniversum entwischt zu sein scheint. Man hört heute in Clubs Ghettotech, Reggaeton und andere Mischformen aus HipHop und lokalem Soundkolorit, aber von der Partymaschine Omar Souleyman hatte hierzulande wohl kaum jemand gehört. In seiner Heimat Syrien dagegen ist der Mann ein Star, der auf der Straße erkannt wird und der es bereits auf ein Gesamtwerk von über 500 Kassetten gebracht hat, die in den Kiosken des Landes erhältlich sind. Youtube ist vollgestellt mit Mitschnitten von Souleyman-Auftritten im syrischen Fernsehen, der Mann scheint in seiner Heimat das zu sein, was Udo Lindenberg bei uns ist.

Es wird einem schwindelig bei dem Versuch, zu klären, wo Syrien aufhört und Berliner Clubkultur anfängt

Der syrische Udo Lindenberg tritt heute Abend also in Kreuzberg auf und sieht so aus, als wolle er das Klischee vom Araber mit Schnauzbart und Palästinensertuch übererfüllen. Doch der Mann kleidet sich letztlich in Kreuzberg nicht anders als in Damaskus, und was für uns wirkt wie ein Anflug von Selbstironie und einem spielerischen Umgang mit Orientalismus, scheint für den Sänger nichts anderes zu sein als Alltag. Rot-weiße Kufiya, perfekt getrimmte Gesichtsbehaarung, Sonnenbrille, das ist ganz einfach der Omar-Souleyman-Look. Allein damit hat der Mann sein Publikum sofort in der Hand. Er spaziert gemütlich auf der Bühne herum, immer ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, ganz der souveräne Entertainer, und trägt seine Songs vor in seinem eigenwilligen Gesangsstil, der sich Dabke nennt.

Auch Souleyman bringt Tradition mit westlichen Einflüssen so zusammen, dass einem ganz schwindelig wird bei dem Versuch, für sich zu klären, wo Syrien aufhört und Berliner Clubkultur anfängt. Bei den Beats, die der Keyboarder zu verantworten hat, der der Einfachheit halber den Job des Schlagzeugers gleich mit übernimmt, denkt man sich jedenfalls, so ein Souleyman-Auftritt morgens um halb sechs im Berghain und der Laden würde explodieren. Da passt es auch, dass die Gruppe in diesen Tagen beim Elektronik-Festival in Barcelona zu sehen ist.

Ziemlich irre wirkt auch das Treiben eines Typen, der das ganze Konzert über mit T-Shirt in der Hose bloß auf der Bühne steht, gelegentlich in die Hände klatscht und Souleyman immer wieder etwas zuflüstert. Am Ende des Konzerts wird er verabschiedet als „der Poet“. Angeblich ist „der Poet“ eine traditionelle Figur in der syrischen Musik, deren Aufgabe darin besteht, das Geschehen im Publikum zu analysieren und ihre Erkenntnisse zur Verarbeitung an den Chef weiterzuleiten. Ein dienstleistender MC also in etwa, ein Unterhaltungskünstler in sekundärer Funktion; dass so ein Job in Syrien noch nicht wegrationalisiert wurde, ist ziemlich sympathisch. Aber er macht seinen Job ja auch gut.