DJ Dosenpfand bittet zum Tanz

PATRIOTISMUS Die Grünen sind auf der Suche nach einem neuen Heimatbegriff und haben dafür die richtigen Platten im Schrank

Die Grünen sind die progressivste aller Heimatbewegungen, glaubt Katrin Göring-Eckhardt. Umwelt, das sei schließlich der heimatliche Nahraum. Parteifreundin Renate Künast lässt es damit nicht bewenden. Typisch deutsch sei heute nichts anderes als typisch grün. Zeigt sich im unduldsamen Pochen auf die Befolgung der Gebote der Mülltrennung nicht die gute deutsche Gründlichkeit? Und sind die Deutschen heute nicht allerorten als Ökomeister bekannt?

Die so implizierte These, dass die Grünen die deutscheste aller deutschen Parteien seien, war am Freitag auf der alljährlich stattfindenden Grünen Kulturkonferenz in Berlin zu hören, die unter dem Motto „Heimat. Wir suchen noch“ stand.

Was mit einer gehörigen Portion Selbstironie daherkommt, hat einen ernsten realpolitischen Hintergrund. Angesichts der Verflüssigung alles Bestehenden durch den globalisierten Kapitalismus erkennt die Politik erhöhten Bedarf an psychologischem Halt. Der aber äußert sich gern in einer Hinwendung zum Heimatlichen. Solche Dispositionen zu ignorieren will sich anscheinend auch eine grüne Partei im Wahljahr nicht zu übergehen leisten. Es galt also den Begriff der Heimat auf seine Politiktauglichkeit im 21. Jahrhundert abzuklopfen, was man als misslungen betrachten darf – auch wenn Renate Künast sich an einer Definition versuchte, die Lokalpatriotismus zum Ausgangspunkt jedes Engagements macht: Heimat sei der Ort, an dem man selbst Ursache ist.

Es herrschte nämlich weithin darüber Konsens, dass Heimat nur vom Individuum her zu denken sei, weil jede doch augenscheinlich etwas anderes mit ihrer Heimat verbindet. Oder gar mit dem an diesem Tag vielzitierten Ernst Bloch Heimat für einen utopischen Ort hält, der erst gefunden werden will.

Was der Begriff nicht so recht zu leisten vermochte, das taten dann aber die Diskussionen. Sie machten deutlich, dass die Grünen den Christdemokraten in der Frage eines zukunftstauglichen Heimatgedankens gerade den Umstand voraus aben, aus guten Gründen ein kritisches Verhältnis zum üblichen Heimatgedöns zu pflegen. Das wurde zwar von Norbert Röttgen (CDU), der zum Streitgespräch gebeten worden war, als großes grünes Defizit ausgemacht. Paradoxerweise war es dann aber Röttgen selbst, der sich als vaterlandsbegriffsloser Geselle outete. Von der Frage aus dem Konzept gebracht, was für ihn persönlich denn Heimat sei, nannte er „Familie, Glaube, Sprache“. Die im Kern wertkonservative grüne Bewegung hat sich dagegen aus guten Gründen dazu gezwungen gesehen, nach unkontaminierten Traditionen zu suchen, die einen positiven Bezug aufs Eigene genauso ermöglichen wie den offenen Blick auf die migrantischen Anderen, die neuen Mitbewohner im Nahraum.

Als Jürgen „DJ Dosenpfand“ Trittin am Abend „Heimatlieder“ auflegte, zeigte sich, dass die Grünen nicht nur die Bewahrer heimatlicher Krötenarten, sondern auch des modernen deutschen Liedguts sind. Trittin ließ Fehlfarben von den „Kebabträumen“ singen, ein Stück, das auf raffinierte Weise den Überwältigungshorror vor den Anderen in provokatorischen Genuss verwandelt: „Wir sind die Türken von morgen.“ Cem Özdemir war da schon zuhause. ULRICH GUTMAIR