Wie man eine Krise verschluckt

JUSITZWOCHEN Drei Wochen nach den Wahlen im Iran inszeniert sich das Regime seine Normalität

Das System hat die Krise verschluckt, um sie mit seinen Magensäften zu zersetzen

VON ALESSANDRO TOPA

Heiß sei es geworden. Die Stimmung lethargisch, depressiv. Viel mehr will man sich zu Beginn der dritten Woche nach den Wahlen vom 12. Juni gar nicht am Telefon aus Teheran erzählen lassen. Es ist zu gefährlich.

Die Tage, da man allabendlich gegen 22 Uhr auf die „Allahu Akbar“-Rufe wartete, um anhand ihrer Lautstärke, Streuung und Dauer Rückschlüsse auf den sich anstauenden Volkszorn zu ziehen, scheinen lange vorbei. Dies nicht nur, weil die Basidschi-Milizen die Bewohner besonders lauter Straßenzüge und Viertel durch nächtliche Verwüstungen terrorisieren: nach der Woche der epochalen Schweigemärsche, der darauffolgenden Gewaltexzesse und Verhaftungen steht die angebrochene dritte Woche im Zeichen einer mit aller Macht inszenierten „Normalisierung“. Das komplexe System der Islamischen Republik hat begonnen, sich zu sortieren, und versucht auf institutionellem Wege die Legitimitätskrise politischer Macht zu verdauen, die es erschüttert hat.

Karrubi schreibt wieder

Damit nimmt die Entwicklung im Iran einen Verlauf, die sich letztlich ganz und gar im Rahmen dessen bewegt, was die zutiefst autoritäre Freitagspredigt des Revolutionsführers Ali Chamenei vom 19. Juni vorgegeben hatte. Aus der Krise des Systems, in das womöglich die Mehrzahl der Iraner, auf jeden Fall aber Millionen von Demonstranten jegliches Vertrauen verloren haben, ist eine Krise im System geworden. Das System hat die grüne Krise, die fast schon eine Revolution schien, verschluckt und wird sie mit seinen Magensäften zersetzen.

Nimmt man das Ausmaß der Pressezensur zum Maßstab, so scheint das Regime recht zuversichtlich, die Lage nunmehr im Griff zu haben. War es etwa Mehdi Karrubi in den Tagen nach der Wahl untersagt, in seiner eigenen Zeitung Etemad-e Melli („Nationale Zuversicht“) zu veröffentlichen, so durfte er am Sonntag seinen jüngsten Brief an den Wächterrat auf der Titelseite veröffentlichen. Der reformorientierte Geistliche fordert weiterhin die Annullierung der Wahlen, lehnt – wie auch Mir Hossein Mussawi auf Seite 2 derselben Zeitung – den Kompromissvorschlag des Wächterrates zu einer teilweisen Neuauszählung der Stimmen ab. Er will eine unabhängige Kommission, die sämtliche Beschwerden über Unregelmäßigkeiten untersucht.

Auch aus den Reihen der gemäßigten Prinzipientreuen kommt Kritik: Parlamentspräsident Ali Laridschani wagte in der vergangenen Woche, die Neutralität des Wächterrats infrage zu stellen, und verlangte vom staatlichen Rundfunk, auch den Standpunkt Mussawis zur Sprache zu bringen. Ähnlich äußerte sich der Bürgermeister Teherans, Baqer Ghalibaf, im Fernsehen. Einer Siegesfeier von Ahmadinedschad blieb am Mittwoch etwa ein Drittel der 290 Abgeordneten aus Protest fern. Auffällig ist aber vor allem die zunehmende Medienpräsenz von Klerikern, die – um die Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit der Wahlen besorgt – die Rigidität des Wächterrats kritisieren und, wie etwa am Sonntag Ajatollah Osma Mussawi-Ardibili in der Titelzeile der konservativen Tageszeitung Ettelaat, fordern, die Zweifel des Volks ernst zu nehmen.

Hassprediger in Teheran

Auf der ultraradikalen Seite des Meinungsspektrums werden die Töne indessen immer denunziatorischer und erinnern an die Zeiten zu Beginn der Achtzigerjahre, als die Islamisten um Ajatollah Chomeini mit der Amtsenthebung des Präsidenten Banisadr im Juni 1981 zur endgültigen Eliminierung linker und demokratischer Kräfte ansetzten.

Die Teheraner Freitagspredigt des Radikalislamisten Ahmad Chatami, in der dieser einen „gnadenlosen“ Umgang mit den Feinden des Gottesstaates forderte, ließ wenig Zweifel daran, dass im Iran über jedem Dissidenten das Damoklesschwert der Anklage wegen konterrevolutionärer Konspiration schwebt. Mahmud Ahmadinedschad verteilte indessen am Wochenende Auszeichnungen an hohe Richter und lobte die herausragende Rolle der Justiz. Seit Samstag wird in Teheran die „Woche des Justizwesens“ zelebriert.