Das Montagsinterview
„Wir müssen Ideen entwickeln“

Klein oder oho: Der neue Intendant von Radio Bremen, Jan Christoph Metzger, setzt auf Kreativität
Der neue Intendant von Radio Bremen, Jan Christoph Metzger, erklärt, warum er lieber die kleinste ARD-Anstalt lenkt als die Redaktion des „Heute Journals“ – und wieso er auf politische Sippenhaft keine Lust hat

INTERVIEW VON BENNO SCHIRRMEISTER
UND FELIX ZIMMERMANN

taz: Herr Metzger, kurz nach Ihrer Wahl haben Sie Ihre 2008 absolvierte Fortbildung zum Organisations-Coach als möglichen „Beruf nach dem Beruf“ bezeichnet. Sie bleiben also bis zur Rente Radio Bremen-Intendant?

Jan Christoph Metzger: Ich fühle mich lange nicht am Ende meines Berufslebens – sondern am Beginn schöner und aufregender Jahre in Bremen. Wie viele? Keine Ahnung. Ich weiß aber, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Hammer bei einer Altersgrenze von 65 Jahren erbarmungslos fällt. Und ich kann mir gut vorstellen, in zwölf Jahren noch tätig zu sein …

klar – bloß macht es Radio Bremen noch so lange?

Warum denn nicht? Radio Bremen ist doch sehr erfolgreich: Von den Reichweiten der Radioprogramme zum Beispiel können andere nur träumen. Zu klären ist bloß, woher das fehlende Geld kommt.

Ja eben – wo doch ein großer und wachsender Teil der 650.000 BremerInnen von der Gebührenpflicht befreit ist. Das ist ein strukturelles Problem.

Deswegen gibt es ja den ARD-Finanzausgleich – nicht um die kleinen Anstalten zu alimentieren, sondern um diese strukturelle Ungleichheit zu heilen.

Und die großen zahlen gern?

Dass darum gestritten wird, ist doch normal. Die Aufgabe des Radio Bremen-Intendanten ist es, den Anspruch auf ein ausreichend finanziertes Programm durchzusetzen: Da heißt es verhandeln, verhandeln, verhandeln. Indem ich den Posten annehme, begebe ich mich in diese Verhandlungen – aber nicht auf ein sinkendes Schiff. So lange es Bremen als Zweistädte-Staat gibt, wird es auch Radio Bremen geben.

Obwohl die vier übrigen Nord-Länder sich mit dem NDR begnügen, der mitunter die Finger nach Bremen ausstreckt ?

Das halte ich für eine Legende. Welches Interesse sollte denn der NDR haben, sich Radio Bremen einzuverleiben? Ich denke, dem NDR ist seine jetzige Struktur schon kompliziert genug. Und ich kann nicht beobachten, dass jemand vorhätte, zu fusionieren – ganz gewiss aber nicht der Intendant von Radio Bremen. Was wir uns allerdings fragen müssen, ist, ob weitere Kooperationen möglich, sinnvoll und verträglich sind.

Kann sich damit ein kleiner Sender profilieren?

Das ist sicher immer eine Gratwanderung: Die Gefahr ist, dass man nur den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht – und dabei die eigenen Interessen verschwimmen. Aber es gibt Modelle, die gut funktionieren: Im Rahmen des NDR-Fernsehens etwa sind unsere Interessen in der Regel gut gewahrt. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass wir künftig in administrativen Bereichen kooperieren, ohne dass das im Programm zu spüren wäre.

Woran denken Sie?

Ich schwebe hier nicht mit fertigen Konzepten ein. Ich werde das zusammen mit den KollegInnen Punkt für Punkt erkunden.

Sie waren zuletzt Leiter der „Heute Journal“-Redaktion und hatten auch vorher journalistisch gearbeitet. Jetzt lassen Sie sich auf diesen Verhandler-Job ein …

… glauben Sie bloß nicht, dass in einer großen Redaktion wie der vom „Heute Journal“ und in einem großen Haus wie dem ZDF nicht ständig verhandelt würde! Es geht hier wie dort darum, unterschiedliche Gesichtspunkte und Interessen zu einem guten, plausiblen Gesamtprodukt zusammenzufügen.

Aber was reizt Sie, vom großen ZDF zur kleinsten Landesrundfunkanstalt zu wechseln?

Ich hatte das Gefühl: Dieser Job hat mich gefunden. Oft hat „die kleinste“ ja eine abwertende Konnotation. Ich finde, das ist ein ganz schöner Superlativ. Die kleinste Landesrundfunkanstalt der ARD – das heißt: Wir sind beweglich, wir lassen uns etwas einfallen.

Inwiefern?

Der Umzug ins neue tri-mediale Funkhaus, die neuen redaktionellen und programmlichen Möglichkeiten, die darin liegen – das ist etwas, was andere Landesrundfunkanstalten noch vor sich haben. Diese großen Veränderungen in so kurzer Zeit – daran sehe ich, der Sender ist beweglich, strategiefähig: Es ist ein Sender, der Kreativität in den Genen hat.

So, wie Sie die Sozialdemokratie …?

Politisch kann man wohl kaum etwas in den Genen haben.

Naja, Ihr Großvater war hessischer Kultusminister und saß für die SPD im Bundestag, so wie Ihr Vater.

Ich persönlich war nie in einer politischen Partei.

Warum nicht?

Das hat mit biografischen Umständen zu tun – und nicht der unwichtigste ist, dass ich aus einer SPD-Familie komme. Bei uns zu Hause ist Politik immer am Mittagstisch verhandelt worden – und durchaus auch kontrovers.

Und das war’s dann?

Später bin ich immer der Überzeugung gewesen, dass es Journalisten in herausgehobenen Positionen guttut, nicht in Parteien zu sein – gerade wenn sie in öffentlich-rechtlichen Organisationen arbeiten. Unabhängigkeit, Parteiferne, Staatsferne – das macht unsere Glaubwürdigkeit aus. Die ist unsere Legitimation. Und sie wird beschädigt, wenn die Gebührenzahler das Gefühl haben, wir wollten ihnen etwas verkaufen. Dass ich trotzdem einem Lager zugerechnet werde, ist nicht politische Genetik, sondern eher politische Sippenhaft.

So wie mit der Kreativität und Radio Bremen: Der Ruf basiert auf Namen wie Beatclub, Kerkeling, Loriot, Carrell …

… mein Gott, ist das lange her!

Eben: Wo war Radio Bremen in den vergangenen zehn Jahren kreativ?

Ich komme nicht, um alte Sachen wiederzubeleben. Es geht darum, im Programm neue Dinge zu erfinden.

Nur wie?

Meine Vorstellung ist es, mit den ARD-Kollegen zu beraten: Was könntet Ihr von uns brauchen? Wo seht Ihr Dinge, die Ihr im Ersten für unterbelichtet haltet und die wir beitragen könnten? Außerdem drängt die Frage, was wir in der Region, in unserem Sendegebiet für junge Menschen anbieten können. Da muss mehr geschehen. Das kann und wird aber nicht darin bestehen, verdiente Entertainer aus der Mottenkiste zu holen.

So nostalgisch war die Frage nicht: Für Bremer Kreativität standen eigene Formate. Der Umzug aber hat fürs Programm Verluste gebracht: Es gibt kein Studio mehr für Musik- oder Hörspielproduktionen.

Der Umzug war notwendig. Ohne ihn und ohne die damit verbundene Schrumpfkur gäbe es Radio Bremen heute wohl nicht mehr. Jetzt müssen wir den Vorsprung, den wir haben, programmlich nutzen.

Obwohl die Anstalt 40 Prozent ihrer Belegschaft eingespart hat?

Was ist denn die Alternative? Sollen wir uns hier an der Weser in dieses schöne neue Haus setzen und klagen, dass Radio Bremen sich verkleinern musste und es Bremen überhaupt schlecht geht? Das ist doch keine Option! Wir müssen intelligente Ideen entwickeln, um in der ARD durch Exzellenz zu zeigen: Wir sind wichtig für die Gemeinschaft. Dafür gibt es keine Patentrezepte, das kann man nicht dekretieren. Und das geht nicht über Nacht. Aber ich bin überzeugt, dass Radio Bremen dafür Potenzial hat. Die Aufgabe der nächsten Jahre wird sein, dieses Potenzial zu heben.

Dafür müsste es erst mal ein entsprechendes Betriebsklima geben.

Richtig ist, dass nur in einem guten Betriebsklima neue Ideen und Projekte wachsen können.

Eine große Aufgabe, wenn man vielen KollegInnen glaubt. Wie gehen Sie die an?

Ich halte ein gutes Betriebsklima für kein so großes Kunststück. Es basiert darauf, fair miteinander umzugehen und einander in der jeweiligen Rolle zu respektieren. Dafür ist weder Voodoo noch Wunderheilung nötig.

Der Anspruch die kreative Spitze der ARD zu bilden, klingt trotzdem kühn …

Nicht die Spitze – das wäre vermessen. Aber die Nische zu finden, in der wir in der ARD Impulse setzen können – etwa als Entwicklungslabor für neue Formate – dafür denke ich, gäbe es auch in anderen Häusern Interesse.