Werkschau Werner Tübke: Das intelligenzintensive Chamäleon

Werner Tübke zeigt sich in seinem malerischen Werk im Museum der bildenden Künste Leipzig als ein politisch skeptischer, ästhetisch aber entschiedener Künstler.

Werner Tübkes Monumentalfresko "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" im Panorama Museum in Bad Frankenhausen. Bild: dpa

Wenn von "intelligenzintensiver Kunst" die Rede ist, dann ist etwas faul. Noch heute meint man die spitzen Finger zu sehen, mit denen Peter H. Feist, über Jahrzehnte der wohl einflussreichste Kunsthistoriker der DDR, ein Referat über Tendenzen des sozialistischen Realismus in seine Schreibmaschine getippt haben muss. Intelligenz war in der DDR des Jahres 1966 auch und gerade in Sachen bildender Kunst keine vorteilhafte Angelegenheit. Feists Frage "Muss unsere Kunst intelligenzintensiv sein?" jedenfalls konnte niemand mit einem entschiedenen "Ja!" beantworten. Wer in seinen Bildern ein zu hohes Maß an Gedanken, intellektueller Anspielung oder am Ende gar gemalter Metaphysik wagte, musste damit rechnen, in ruinöse Debatten verwickelt zu werden, die mit ästhetischen Fragen wenig, mit ideologischen indes umso mehr zu tun hatten.

Geht man in diesem Sommer durch das Museum der bildenden Künste in Leipzig (und in einer zweiten Station im kommenden Herbst durch das Kunstforum der Berliner Volksbank), kann man solchen, seinerzeit umstrittenen, zerebralen Intensitäten wieder begegnen. Aus Anlass des 80. Geburtstags, den der Leipziger Künstler und Malereiprofessor Werner Tübke dieses Jahr gefeiert hätte, ist dort dessen malerisches Gesamtwerk in einer bemerkenswert repräsentativen Auswahl versammelt.

Und Tübke nun als ingeniöses Chamäleon unter den Malern der ersten Leipziger Schule zu bezeichnen, lässt sich mit Blick auf seine künstlerische Vielfalt nicht anders als anerkennend aussprechen. Gerade da sich die Ausstellung nicht allein auf das Bekannte verlassen hat, sondern auch ganz frühe und insbesondere auch die späten, erst nach der Wende entstandenen Arbeiten zeigt, wird offensichtlich, wie meisterhaft sich Tübke altmeisterliche Stile aneignen konnte. Beinahe beliebig, so scheint es, konnte er zwischen expressionistischem Duktus und bulgarischer Ikonenmalerei, zwischen venezianischer Renaissance und niederländischem Manierismus wechseln.

Je mehr man von diesem kunstgeschichtlichen Allerlei gelöffelt hat, umso irritierender und problematischer erscheint die hier sich abzeichnende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Tübke konnte, während in Berlin die Mauer gebaut wurde, im Kaukasus Bildnisse von Bauern und Viehzuchtbrigadiers malen, und doch hatte er nur vier Jahre zuvor mit dem "Tod in der Iller" ein beißendes Tendenzstück gegen die westdeutsche Bundeswehr geschaffen. Zwei Entlassungen aus der Hochschule für Grafik und Buchkunst (eine dritte war bereits beschlossene Sache, konnte jedoch dank seiner protestierenden Schüler nicht mehr durchgesetzt werden) verhinderten nicht, dass Tübke dann mit dem monumentalen Rundgemälde über die Bauernaufstände in Bad Frankenhausen in jedem Sinn Kunstgeschichte schrieb - und als ein vom Staat beauftragter Künstler auch schreiben durfte. Und schon als dieses hypertrophe Panorama im Herbst 1989 nach elf Jahren Konzeption und praktischer Ausführung endlich eröffnet wurde, meinten die ersten Betrachter auf der 1.722 Quadratmeter großen Leinwand genügend verschlüsselte Hinweise finden zu können, die Tübke endgültig als einen unsicheren Kantonisten ausweisen.

Tübke war ein überaus versiertes Chamäleon - auch und erst recht in politischen Dingen. Gerade deshalb ist es eine schwer verständliche Unterlassung, dass die Leipziger Ausstellung und nicht zuletzt der selten mehr als deskriptive Katalog von diesen Bedingungen kaum etwas sichtbar werden lassen. Keiner der zahlreichen historischen Spuren wird hier konsequent gefolgt, keines der vielfältigen Zeichen, und sei es nur vorschlagsweise, entschlüsselt. Man kann dabei zusehen, wie ein künstlerisches Gesamtwerk, das mit Werkgruppen wie zum "Weißen Terror in Ungarn", den "Fünf Kontinenten" oder "Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" mitten in seiner Zeit stand und zugleich mit den "Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze" das Maß des ästhetisch Möglichen deutlich verschob, seiner Entstehungsbedingungen gründlich entledigt wird. So sehr haben sich die Zeiten gewandelt: Was sich einst als zu "intelligenzintensiv" verdächtigt sah, scheint heute ganz für sich selbst sprechen zu können. Über einer solchen Apotheose ins Zeitlose jedoch geht, jedenfalls für dieses Mal, ein überaus gedankenreicher Maler ganzer metaphysischer Welten verloren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.