Hoffnungslos verstrickt

KRIEG IN DER FAVELA Der umstrittene Berlinale-Gewinner von 2008, „Tropa de Elite“ von José Padilha, kommt ins Kino

„Tropa de Elite“ glaubt sich selbst auf der richtigen Seite – und verliert dabei fast jede Hemmung

VON EKKEHARD KNÖRER

Capitão Nascimento (Wagner Moura) will raus. Er ist Truppenführer der brasilianischen Polizei-Eliteeinheit Bope, wird Vater und sucht deshalb seinen Abschied. Mit gutem Grund, denn der Job, den er macht, ist lebensgefährlich. Wie lebensgefährlich, zeigt eindrücklich José Padilhas Film. „Tropa de Elite“, heftig umstrittener Bären-Gewinner der letztjährigen Berlinale, führt – ins Jahr 1997 versetzt – die brutalen Methoden vor Augen, mit denen die Bope in den Favelas von Rio Recht und Gesetz gegen Drogen und Korruption durchzusetzen versucht. Gedreht ist er unter künstlich dokumentarischen Bedingungen, vor Ort, mit viel Improvisation, die Handkamera mitten unter den Handelnden.

Der auf faszinierende Weise problematische Erzählkniff, den Padilha anwendet: Er macht Capitão Nascimento nicht nur zum Helden des Films, sondern auch zum sehr erklärungs- und meinungsfreudigen Ich-Erzähler seiner sich auf mehrere Stränge und Schauplätze verzweigenden Geschichte. Nascimento muss, bevor er die Bope verlassen kann, einen Nachfolger finden. Zwei Nachwuchsmitglieder der Truppe porträtiert der Film. Da ist zum einen Neto (Caio Junqueira), der in einer raffinierten Aktion der polizeiinternenen Autoersatzteilmafia ein Schnippchen schlägt – und dadurch eine Katastrophe heraufbeschwört. Und André Matias (André Ramiro), schwarz, ernsthaft, ehrgeizig, der neben seiner Polizeiausbildung noch Jura studiert. Man sieht ihn in Seminaren, in denen er mit weißen Bürgerkindern Foucault diskutiert. Und man sieht, wie er sich als Mitglied einer NGO-Gruppe von kiffenden Studierenden, die in der Favela ein Büro betreiben, sehr unwohl fühlt.

„Tropa de Elite“ schreibt einem nicht vor, was man von seinen Figuren und deren Aktionen halten soll. Auf den ersten Blick kann Nascimento einem durchaus noch als Identifikationsfigur erscheinen, die Bope als Kraft, die mit zu harten Mitteln Ordnung zu schaffen versucht. In Brasilien wollten viele das offenkundig so sehen. Der Film zirkulierte lange vor Kinostart als millionenfach verbreitete illegale DVD-Kopie, wurde dann auch in den Kinos zum Hit – und Nascimento zur Ikone. Wer den Film dergestalt als eine Art Ego-Shooter begreift, übersieht jedoch auf fatale Weise die schleichende, aber eindeutige Abwärtsbewegung von Padilhas Erzählung. Zunehmend brutaler werden die Aktionen der Bope. Eine lange Sequenz führt nachdrücklich vor, wie der Nachwuchs im Bope-Trainingslager geschleift wird. Zwar beharrt der Film auf Nascimentos Perspektive: Die Gnadenlosigkeit aber, mit der er vorführt, wie in zynischer Manier Menschen gequält und zugerichtet werden, spricht für sich.

Nein, „Tropa de Elite“ sieht weder Nascimento noch seine potenziellen Bope-Nachfolger Matías und Neto als Helden. Er baut Sympathie für sie auf und zieht dem Betrachter dann den Boden unter dem Mitgefühl weg. Padilha, der vor seiner Karriere als Filmemacher in Oxford Politikwissenschaft studiert hat, hat das Szenario mit voller Absicht so gewählt. In der Thematisierung gesellschaftlicher Missstände schließt er ausdrücklich an seinen Debütfilm „Bus 174“ an. Das war eine dokumentarische Rekonstruktion der Umstände einer Bus-Geiselnahme, der verzweifelte Entführer hieß Nascimento. Auch „Tropa de Elite“ war ursprünglich als Dokumentarfilm geplant. Geblieben ist im Spielfilm der systematische Blick auf eine Situation, aus der es – dies die eindeutige These – keine einfachen Auswege gibt. Padilha versteht seinen Film als gnadenlose Übung in Illusionslosigkeit. Dazu gehört, dass er auch die gut gemeinte Arbeit der NGO als naiv ausstellt. Wer in die mit pseudostaatlichen Mitteln ausgestattete Drogenökonomie der Favela eindringt, ist, behauptet Padilha, unweigerlich darin verstrickt. Indem er – die Bope – Gleiches mit Gleichem, nämlich Mord, Folter und Totschlag mit Mord, Folter und Totschlag vergilt. Oder indem er – die NGO – die Duldung der Drogenmafia durch Mittun und Wegschauen und Drogenverteilung an den Schulen erkauft. Keiner operiert hier an der Wurzel des Übels, alle bewegen sich auf einander kreuzenden Bahnen im Teufelskreis.

Das gilt allerdings auch und gerade für den Film selbst. Beinahe lustvoll lässt er sich auf den rasenden Pulsschlag und die zusehends faschistoiden Gewalt- und Racheaktionen seines Helden ein. Wie Capitão Nascimento glaubt er sich dabei auf der richtigen, nämlich scharf gesellschaftskritischen Seite – und verliert im Überschwang dieses Rechtsgefühls fast jede Hemmung, angezündete Menschen, Blut, Gewalt, Folter und heillose Verstrickung der guten Absicht ins Böse zu zeigen. Nicht so sehr in den Thesen des Films, sehr wohl aber in seiner Machart steckt deshalb eine tiefe Ambivalenz. Er zeigt sich fasziniert von dem, was er anprangert. Er scheint deshalb nie ganz Herr der von ihm in analytischer Absicht entfesselten Darstellungs- und Sympathielenkungskräfte. Mancher Kritiker fand den Film deshalb selbst faschistisch. Eher müsste man sagen: Er ist auf so faszinierende wie prekäre Weise etwas anderes als das Gegenteil davon.

■ „Tropa de Elite“. Regie: José Padilha. Mit Wagner Moura, André Ramiro u. a. Brasilien/Niederlande/USA 2007, 115 Min.