Sanfte Gewalt

WESTAFRIKANISCHE TANZCOMPAGNIE Mit „Poussières de sang“ von Salia nï Seydou aus Burkina Faso eröffnet das Festival „Tanz im August“ in Berlin eine formbewusste Choreografie

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der Weg nach Ouagadougou führt über Montpellier. Denn am Beginn der Geschichte, wie die beiden Tänzer Seydou Boro und Salia nï Sanou in der Stadt in der Sahelzone ein für Westafrika bisher einzigartiges Zentrum für tänzerische Ausbildung und Stückentwicklung gründen konnten, steht ein Besuch der französischen Choreografin Mathilde Monnier in Burkina Faso 1992. Sie lud Salia nï Sanou und Seydou Boro nach Montpellier ein, zunächst als Tänzer und seit 1997 mit deren eigener Compagnie Salia nï Seydou als Gäste.

Treffpunkt Ouagadougou

„Aber nach zehn Jahren Pendeln zwischen Frankreich und Burkina Faso, war es an der Zeit, mehr für den zeitgenössischen Tanz in unserem eigenen Land zu tun, professionelle Tänzer auszubilden und Räume für die vielen Tanzgruppen anzubieten“, erzählt Seydou Boro. Die Anerkennung, die sie mit den Touren ihrer Compagnie bis dahin erworben hatten, war entscheidend für die politische und materielle Unterstützung, die Salia nï Seydou beim Aufbau des Tanzzentrums La Termitière in Ouagadougou von ihrem Staat und der französischen Botschaft erhielten. Seit der Eröffnung 2006 ist es ein wichtiger Knotenpunkt der afrikanischen Tanzszene geworden.

Heute Abend eröffnet die Compagnie Salia nï Seydou das Festival „Tanz im August“ in Berlin mit ihrem Stück „Poussières de sang“. Knapp zwei Tage zuvor sind die beiden Pioniere ihrer Generation in Berlin eingetroffen und erzählen über ihr Projekt, das neben dem Filmfestival von Ouagadougou eine zweite kulturelle Markierung einer Stadt bedeutet, die sonst über wenig verfügt. „Das war eine politische Entscheidung, der sich viele private Initiativen anschlossen“, sagt Salia nï Sanou über ihre Förderung.

„Poussières de sang“ ist ein überraschend sanftes und schönes Stück. Überraschend deshalb, weil Gewalt das eigentliche Thema war, dem Tänzer und Musiker zunächst in Improvisationen nachgingen. Eine brutale Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Soldaten in Ouagadougou, die auch Unbeteiligten das Leben kostete, war der Auslöser gewesen – aber diese Verortung in einem lokalen Kontext interessierte die beiden Choreografen bald weniger, als die generelle Frage nach der Entstehung von Gewalt. „Sie beginnt im Kopf, in der Fantasie, bevor sie real wird“, sagt Seydou Boro.

Auf der Bühne ist es die Stimme von Djata Melissa Ilebou, die traurig, klagend, verzweifelt und schließlich immer wütender den Raum der Vorstellungskraft öffnet, auch wenn man ihre Sprache nicht versteht. Sie schreit auf die Tänzer ein, die auf der Bühne liegen wie schon Gestorbene. Ihre Stimme holt sie zurück und treibt sie an, ähnlich wie später die Tritte, die eine Tänzerin austeilt. Die Tritte sind aggressiv; wie aber der Körper des Getroffenen zu Boden rollt, verlangsamt, weich und den Fall als Ausgangspunkt einer Kette rollender, tastender Bewegungen nutzt, verändert die Energie und ihre Bedeutung.

Dieses Changieren zwischen Gesten des Angriff und einem Kippen der Bilder in äußerst formbewusste Bewegungsabläufe macht die Spannung des Stücks aus. In einem Duo stehen sich zwei starke und schöne Männer gegenüber, die Fäuste geschlossen, den Körper gebogen, und erinnern in der zeitlich gedehnten Bewegung dabei ebenso sehr an Boxer wie an schlafende Kinder. In ihrem Ringen um- und miteinander wartet man jeden Moment auf die Berührung, den Schlag, doch stets bleibt da ein Abstand, mit Blicken halten sie sich fest. Sie sind auf den Kampf konditioniert und stecken doch alle Kraft hinein, ihn nicht zu führen.

Ekstase und Hospitalismus

In anderen Szenen gerät die siebenköpfige Compagnie in eine Form von, ja, was eigentlich, Ekstase? Sie schaukeln und schütteln sich, taumeln beinahe wie in Trance, erinnern aber auch an die traurigen Zuckungen des Hospitalismus.

Rausch und Gefangensein gleiten in eins, beides hoch emotionale Zustände. Ob bei dieser Szene rituelle Tanzpraktiken eine Rolle gespielt haben, möchten wir von den Choreografen wissen, und sie sagen erst nein, das hat sie in diesem Stück nicht beschäftigt. Aber doch in anderen, und vielleicht haben die Tänzer mit ihren Improvisationen etwas davon mitgenommen. 64 Ethnien gibt es in Burkina Faso, und das „ist ein großes Potenzial für traditionelle Tanzgruppen“, sagt Seydou Boro.

Den Tanz aber auch zum Beruf zu machen, verlangt dagegen immer noch große Anstrengungen. Keine der professionellen Compagnien kann von ihren Auftritten vor Ort leben, alle sind angewiesen auf Festivaleinladungen in andere Länder. Das aber gilt für Compagnien aus Berlin ja genauso.

Die Professionalität der Compagnie Salia nï Seydou zeigt sich nicht zuletzt im souveränen Umgang mit der offenen Struktur des Stücks. Die Sängerin, die vier Musiker, die mit ihren Instrumenten narrative und dramatische Impulse geben, die sieben Tänzer: Jeder spinnt seinen eigenen Faden in einem Gewebe. Sie müssen sich genau beachten, und diese Konzentration greift auch nach dem Zuschauer.