Ein dürres Wüsten- und Niemandsland

WYOMING Auch in ihrem dritten Band mit Erzählungen aus Amerikas am dünnsten besiedelten Staat macht Annie Proulx keine Zugeständnisse an Wildwestromantik

Ein als Kinderersatz dienender Beifußstrauch entwickelt vereinnahmende Züge

VON MARGRET FETZER

Kaum einer hat den Film verpasst, als er vor gut drei Jahren in den deutschen Kinos lief: „Brokeback Mountain“, die Geschichte von zwei schwulen Cowboys. Die leidenschaftlichen Kussszenen der beiden schmucken Viehtreiber, verkörpert von Jake Gyllenhaal und dem legendären Heath Ledger, konterkarierten provokant den (heterosexuellen) Männlichkeitsmythos des Marlboro-Manns, den man eben noch im Werbevorspann seine Zigarette hatte inhalieren sehen.

Vorlage für Ang Lee

Bereits 1988 lieferte Annie Proulx in ihrer ersten Sammlung von Short Storys aus Wyoming die Vorlage für Ang Lees Meisterwerk. Jetzt ist der dritte Band der Geschichten aus Wyoming – „Hier hat’s mir schon immer gefallen“ – bei Luchterhand auf Deutsch erschienen. Ob wieder Hollywoodmaterial dabei ist?

Eher nicht, denn Proulx’ Charaktere sind alles andere als telegen. Da ist zum Beispiel der vierundachtzigjährige Ray Forkenbrock, der sich schwertut, dem „Apparat“ seiner Enkelin Beth anzuvertrauen, was der von ihm bis heute verehrte Vater unter „Familiensinn“ verstand.

Dazu kommt, dass zwei der Geschichten im 19. Jahrhundert angesiedelt sind, und „Die Bisonjagd“ versucht es gar mit einem prähistorischen Setting. Am leichtesten zugänglich (und zugleich am seichtesten) ist die titelgebende Geschichte oder auch der Text „Fauler Zauber“: In beiden steht ein eitler, medienversierter und hyperaktiver Teufel im Mittelpunkt, der immer wieder neue Streiche ausheckt, mit denen er bereits den noch Irdischen das Leben zur Hölle zu machen trachtet. Als Glossen mit starkem Gegenwartsbezug mögen sie ganz nett sein – doch dem Vergleich mit den übrigen sieben brillanten Kurzgeschichten halten sie nicht stand.

Das größte Kompliment, das man diesen Storys machen kann, ist, dass sie schier unverfilmbar scheinen. Ein Morgen, der „schwach wie ein Foto im Entwicklerbad zum Vorschein kam“, will eben gerade nicht sofort als Bild präsent sein. Proulx’ Formulierungen sind immer wieder grandios und zu subtil oder speziell, als dass man sie ohne Weiteres intermedial übersetzen könnte.

Das Grauen der Viehtreiber

Das Wyoming der Proulx’schen Storys ist karg und brutal, der am dünnsten besiedelte Staat Amerikas ist ein dürres Wüsten- und Niemandsland. Wenn es einer wie Hi in „Great Divide“ nicht mehr im Kohlebergwerk aushält und sich von seinem Schwager doch noch einmal zur Wildpferdejagd überreden lässt, hat das nichts Wildromantisches mehr, denn die eingefangenen Pferde werden zu Hundefutter verarbeitet.

In „Das testamento“ unternimmt ein Pärchen Woche für Woche verbotene Extremwander-, -kletter- und -skitouren – aber von Idylle oder Naturschönheit liest man nichts, und die prähistorischen Teilnehmer der „Bisonjagd“ sind ausschließlich damit beschäftigt, die herandonnernde Herde in ihren Hinterhalt zu locken und sich zugleich vor ihren tödlichen Hufen in Sicherheit zu bringen.

Ein als Kindesersatz dienender Beifußstrauch entwickelt seltsam vereinnahmende Züge, und auch die dritte Kurzgeschichte, „Diese alten Cowboylieder“, passt nicht zu der im Titel angedeuteten sehnsuchtsvollen Westernstimmung: Das Grauen, das den jungen Viehtreiber Archie und seine noch jüngere Frau Rose heimsucht, ist geradezu grotesk.

Die einzelnen Erzählungen verhalten sich zueinander wie die verschiedenen Facetten eines Ganzen, das sich auf den gemeinsamen Nenner „Wyoming“ bringen lässt. In den seltensten Fällen entwickeln Proulx’ Figuren selbst ein Bewusstsein für diesen unterschwelligen Zusammenhang. Nur Dakotah, der Hauptfigur der letzten Erzählung, erschließen sich die Parallelen der (unerfüllten) Bedürfnisse und Schicksale der Einwohner dieses Staates. Nicht umsonst ist sie die einzige Figur mit einer gewissen Außensicht, die einzige, die wir aus Wyoming heraus in verschiedene Stützpunkte der Armee begleiten und die außerdem den Namen eines anderen US-Staats zum Vornamen hat.

Verlorene Söhne

Bei ihrer Rückkehr nach Wyoming stellt Dakotah fest, „dass jede Ranch einen Sohn verloren hatte, früher oder später, lächelnde Jungen, selbstsicher, gesund, aus dem Lebensstrom geworfen durch Schnaps und Geschwindigkeit, Rodeounfälle, schlechte Pferde, tiefe Bewässerungsgräben, hohe Gerüste, Traktoren, die sich überschlugen, oder ungesicherte Autotüren“. Da scheint es eine unheimliche Ironie des Schicksals, dass auch Wyoming-Cowboy-Darsteller Heath Ledger 2008 viel zu früh zu Tode kam.

Neben dem Stolz auf die Vereinigten Staaten als Ganzes definieren sich viele Amerikaner über ihren Bundesstaat – ob er nun sonnig wie Kalifornien, urban wie New York, touristisch wie Florida oder so bar all dieser Qualitäten wie Wyoming ist. Mit ihren Storys hat Annie Proulx dieser Besonderheit des amerikanischen Nationalverständnisses und dem eher unauffälligen Staat Wyoming, in dem sie übrigens selbst lebt, ein literarisches Denkmal gesetzt.

■ Annie Proulx: „Hier hat’s mir schon immer gefallen. Geschichten aus Wyoming 3“. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. Luchterhand Literaturverlag, München 2009, 254 Seiten, 17,95 Euro