Favoriten, Exoten und schmählich Vergessene

LANGLISTE Wer drauf ist und wer nicht, auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, wird jedes Jahr mit Spannung erwartet. Dass Thomas Glavinics neuer Roman nominiert werden würde, war zwangsläufig. Überraschend dagegen die Aufnahme eines Krimis

Der harte Kern von Pflichttiteln wird angefüttert mit Exoten, Überraschungsnominierungen oder im Frühjahr zu kurz gekommenen Titeln

VON CHRISTOPH SCHRÖDER

Da saß man nun also wieder und wartete. Seit der Börsenverein des Deutschen Buchhandels beschlossen hat, die zunehmende Unübersichtlichkeit einer frei galoppierenden Buchproduktion in übersichtliche Listen zu verpacken; seit das Publikum dafür dankbar ist und den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buch- zu einem Erfolgs- und Verkaufspreis machte – seitdem sitzen Verleger, Journalisten und wahrscheinlich auch Autoren am Vormittag der Verkündung der sogenannten Longlist am Computer oder Telefon und warten. Nun hat die Jury 20 Titel benannt, aus denen wiederum sechs Bücher für die am 16. September erscheinende Shortlist herausgefiltert werden.

Die Aussage von Hubert Winkels, dem Sprecher der hochkarätig besetzten Jury, man hätte „ein Schattenkabinett mit 20 weiteren Titeln“ erstellen können, verwundert allerdings arg: Nach der Betrachtung der diesjährigen Herbstproduktion an deutschsprachigen Neuerscheinungen konnte man sich schnell ausrechnen, dass es einen harten Kern von Titeln geben würde, die pflichtgemäß auf der Longlist auftauchen müssten. Der Rest würde aufgefüllt werden, mit Exoten, Überraschungsnominierungen oder im Frühjahr zu kurz gekommenen Titeln. Und genau so geschah es auch: Dass Thomas Glavinics Roman „Das Leben der Wünsche“ nominiert werden würde, war zwangsläufig. Nicht wenige Stimmen behaupten, Glavinic, bereits im Jahr 2007 knapp gescheitert, sei in diesem Jahr einfach dran.

Auch die beiden vorzüglichen Romane von Peter Stamm („Sieben Jahre“) und Terézia Mora („Der einzige Mann auf dem Kontinent“) gehören unbedingt nicht nur auf die Long-, sondern auch auf die Shortlist und sind in ihrer Mischung aus Unterhaltsamkeit und Intellektualität geradezu ideale Preiskandidaten. Herta Müllers ambitionierter, aber tendenziell misslungener Roman „Atemschaukel“ dürfte eher wegen seines Themas, der Schilderung eines fünfjährigen Aufenthalts in einem russischen Arbeitslager, als aufgrund der Umsetzung zu den Favoriten gezählt werden. Und dass der neue Roman der Büchnerpreisträgerin Brigitte Kronauer („Zwei schwarze Jäger“) auf der Longlist nicht fehl am Platz ist, versteht sich von selbst.

Bemerkens- und lobenswert ist die Tatsache, dass die Jury zwei äußerst starke Debüts berücksichtigt hat: Sowohl Anna Katharina Hahns „Kürzere Tage“ als auch Stephan Thomes „Grenzgang“ stehen mit Recht auf der Liste. Beide Romane sind im Suhrkamp Verlag erschienen, was dafür spricht, dass dort bei aller Unruhe nach wie vor vernünftige Verlagsarbeit geleistet wird. Überhaupt, der Verlagsproporz: 4 der 20 Titel stammen aus dem Hanser Verlag, was einmal mehr für Unmut sorgen könnte; hielt doch bereits in den vergangenen Jahren der ein oder andere Hanser für überrepräsentiert. Wenn nun wieder geschimpft werden sollte, würde das nicht verwundern – ein Buch wie Sibylle Bergs Roman „Der Mann schläft“ kann mit dem besten Buch des Jahres nur in einer Illustriertenparallelwelt etwas zu tun haben.

Womit man bei den Exoten angekommen wäre. Die Frankfurter Jury hat nicht konsequent auf Titel verzichtet, die bereits Kandidaten für den Preis der Leipziger Buchmesse waren. Erfreulich ist die Nominierung von Reinhard Jirgls vorzüglichem Roman „Die Stille“, aber auch inkonsequent: Warum dann nicht auch Julia Schoch, Wilhelm Genazino oder Andreas Maier? Und warum nicht der doch allseits so hoch gelobte Daniel Kehlmann mit seinem „Ruhm“? Vielleicht, weil Kehlmann den Preis im vergangenen Jahr als „entwürdigendes Spektakel“ kritisiert hatte? Dass Ernst-Wilhelm Händler seit Jahren zu den interessantesten deutschsprachigen Autoren überhaupt gehört, ist mittlerweile unumstritten; ob sein rund 600 Seiten starkes und wie üblich hochkomplexes neues Werk „Welt aus Glas“ zum Publikumsbestseller taugt, ist eine andere Frage. Und mit Rainer Merkel findet sich ein spannender, leiser Autor auf der Longlist, der nach drei Romanen noch immer ein wenig am Rand der Aufmerksamkeit steht.

Ein wenig verblüffend mutet die Nominierung des Krimiautors Wolf Haas („Der Brenner und der liebe Gott“) an – hier liegt der häufig bemühte Äpfel-und-Birnen-Vergleich nahe. Nun wird diskutiert werden. Dafür ist der Preis da: Aufmerksamkeit schaffen für das Buch. Nun geht das Warten weiter. Auf die Shortlist.