Das Auge hört mit

BANDFOTOGRAFIE Am Freitag und Samstag will das Boot-Boo-Hook-Festival in Hannover aktuelle Entwicklungen in der alternativen Pop-Musik zu Gehör bringen. Die taz nord hat die dazugehörigen Bilderwelten untersucht

Das Bandfoto ist nach wie vor entscheidend für die Wahrnehmung einer Band

Früher gab es keine Websites mit Videos und eingebundenen Audio-Files, es gab nur ein bisschen Musikfernsehen und Printmedien mit Bandfotos. Heute gibt es im Internet unbegrenzte Möglichkeiten der Selbstdarstellung für Bands und das Bandfoto gibt es noch immer. Das Bandfoto ist nach wie vor entscheidend für die Wahrnehmung einer Band, entsprechend riesig ist die Menge, die in Redaktionen und PR-Agenturen kursiert. Ebenso groß ist die Vielfalt, in der das Bandfoto erscheint. Denn das Bandfoto erzählt nicht nur etwas über Musikgenres, es geht auch mit der Zeit, zusammen mit der Musik und der Kleidung. Früher war eine Marketingregel beispielsweise, dass auf dem Bandfoto ein Instrument abgebildet sein muss, damit sofort klar wird, dass es um Musik geht. Heutzutage sind Instrumente auf Bandfotos die Ausnahme.

Im fotografischen Diskurs spielt das Bandfoto keine Rolle, schließlich dient es nicht in erster Linie der Kunst, sondern der Vermarktung und ist im Kern schlicht ein Portrait. Andererseits ist der Zweck der Vermarktung nicht nur der Fluch des Bandfotos, sondern auch sein Antrieb für beständige Veränderung: Wer wahrgenommen werden will, der muss sich etwas einfallen lassen. Das gilt insbesondere für neue Bands, die kein Mensch kennt.

Eine gesunde Mischung aus neuen und bereits bekannten Bands wird am heutigen Freitag und am Samstag beim Boot-Boo-Hook-Festival in Hannover auftreten. Die bekannteren sind Tocotronic, Kettcar, Tele und die Fehlfarben, die unbekannteren sind Knut und die herbe Frau, Kolkhorst, Herpes, Dial M for Murder und Like a Stuntman. Insgesamt spielen über 30 Bands auf dem Faust-Gelände in Hannover. Die Veranstalter sind der Faust e.V., das hannoversche Spandau Projekt und die Hamburger Plattenfirma Tapete Records. Der Anspruch ist, „die aktuelle Entwicklung in der Pop-Kultur abzubilden“.

Wo aktuelle Pop-Kultur ist, da muss auch aktuelle Bandfotografie sein. Die taz nord untersucht auf dieser Seite fünf Beispiele aus dem Programm des Boot-Boo-Hook-Festivals. Die Auswahl ist subjektiv. Die Fragen lauten: Was sagt das Bild? Und wie klingt die dazugehörige Musik?

KLAUS IRLER

Boot-Boo-Hook-Festival Hannover, 21. und 22. August

Drei Herren, offenbar im Sonnenschein fotografiert, die glänzende Glatze und die Sonnenbrillen erzählen davon. Eine Sonne gibt es aber nicht, der ursprüngliche Kontext des Fotos ist weggeschnitten und statt einer Sonne gibt es eine Art Atompilz, aus dem Wildkatzen mit verfremdeten Augen blicken. Unheimlich, mystisch und – selbst gemacht.

Das Foto ist eine Collage und zeigt: Die drei Herren sind aus jeglichem Zusammenhang gerissen und haben sich ihre Welt selbst gebastelt. Sie haben keinen Ort, aber einen großen Willen zur Kunst. Ihre Band heißt Faust und als sie Ende der 1960er Jahre in Hamburg gegründet wurde, waren sie nicht zu dritt, sondern zu sechst.

Faust ist eine Krautrocklegende, die ihre große Zeit in den 1970er Jahren hatte. Seit Anfang der 90er gehen Faust wieder unregelmäßig auf Tour und haben zuletzt auch neue Studioalben produziert. Ihre Musik besteht aus sich überlagernden Soundschichten, sie ist so collagenhaft wie das Bandfoto. Es gibt keine Songstrukturen, statt dessen entwickeln sich Töne, Klänge und Feedbacks zu Soundlandschaften. Die sind experimentell, brachial und für viele Bands wegweisend.

Faust ist Legende und auch Konzertbesuchern, die noch nicht mal halb so alt sind wie die Bandmitglieder, wird geraten: Ohrstöpsel mitbringen.

Like A Stuntman heißt diese nicht wirklich bekannte Band aus Hamburg und was auf den ersten Blick aussieht wie ein spontanes Spaßfoto, wirft auf den zweiten Blick einige Fragen auf. Die wichtigste lautet: Was denkt der Musiker in der Mitte mit dem gestreiften Pullover über den billigen Witz seiner Kollegen?

Die Miene des Musikers in der Mitte ist ohne Ausdruck, es ist der Moment, in dem er noch nicht recht weiß, was er denken soll über seine beiden Witz-Kollegen, deren Pose schnell als Ironie kenntlich wird – zumal die beiden Piloten in einer Szenerie platziert sind, die ein Gegenentwurf ist zum Glamour des Fliegens: Die Sofas sehen nach secondhand aus, die Palme ist dürr, die Lampe im Zimmer ein umgedrehter Eimer mit Glühbirnen drin.

Die Message ist: Diese Band nutzt die Pose bewusst – und bricht sie zugleich. Die Pose, das sind psychedelisch angehauchte, mitunter hymnische Melodiebögen, doch darunter liegt ein vielschichtig zusammengesetztes Soundgebäude. Es tuckert und wabert und schrammelt, von einer Ebene zur nächsten. Es ist ausgetüftelte Musik zu einem manchmal sphärischen, manchmal gelangweilten Gesang. Der wichtigste Einfluss sind die psychedelischen Anteile der 1960er. Als das Fliegen noch etwas besonderes war.

Die Welt der Waren braucht Verpackung. Eine der rauesten Varianten der Verpackung ist der Karton. Es ist eine raue Welt, in der sich diese vier Gestalten versammelt haben, eine Art Müllkippe, allerdings eine, die aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Die vier Gestalten würden verloren wirken in dieser Welt, wenn es nicht diese eigenartige innere Verbundenheit zwischen ihnen gäbe. Was sie verbindet, das sind der symmetrische Bildaufbau und die Körperhaltung. Außerdem verbindet sie der Grad ihrer Lebendigkeit: Die beiden Wesen links sehen aus wie Puppen, denen der menschliche Trieb der Neugier eigen ist. Die beiden Wesen rechts sehen aus wie Menschen, die zu Puppen erstarrt sind.

Die Szenerie ist hoch stilisiert und das Altpapier, das die Kulisse prägt, ist ein direkter Verweis auf die Idee des Recycling. Recycelt werden hier die 1980er Jahre: Die Hosenträger, die Hochwasser-Anzughosen, die Lackschuhe, die gegelten Haare, das Roboterhafte, das alles ist Neue Deutsche Welle und New Wave. Die Band heißt Schwefelgelb und macht harte, elektronische Musik im Stil von D.A.F. und den Krupps. Ihr Debut-Album heißt passender Weise „Alt und Neu“. Einer der beiden Musiker studiert Elektronische Komposition, der andere Visuelle Kommunikation. Schwefelgelb ist sehr ausgefeilt. Und sehr deutsch.

Herbst ist es auf diesem Bild, Herbst oder Winter. Der Mann, der da alleine im Auto sitzt, schaut nicht gerade fröhlich drein. Die kahlen Äste spiegeln seinen Gemütszustand wider: Da ist etwas nicht nur kühl, sondern kaputt, erinnern die Äste doch unmittelbar an die Struktur von gebrochenem Glas.

Als Kontrast zu den Ästen liegen Blumen auf dem Amaturenbrett. Aber so richtig erfreulich sind diese Blumen auch nicht: Es müssen Plastik- oder Treibhausblumen sein, wo doch draußen Winter ist. Intuitiv ist man sich sicher, dass der Mann die Blumen nicht bekommen hat, sondern sie selbst schenken wird. Er ist auf dem Weg zu einer Frau und es liegt etwas im Argen.

Es ist eine kleine Geschichte, die dieses Bild erzählt, genauso wie der Name der Band der Titel einer Geschichte sein könnte. Die Band heißt Knut und die herbe Frau und besteht aus Mitgliedern der Bands Samba (Münster), Wolke (Köln), Klez.E und Delbo (Berlin).

Die Songs stammen von Knut Stenert, sie haben deutsche Texte, kombinieren eingängige Gitarrenakkorde mit Sounds aus dem Computer und überraschen durch unkonventionelle Grooves und Arrangements. Meistens geht es um die Liebe in ihrer herberen Form, wobei Platz für Ironie ist. Es sind Liebesgeschichten aus der Großstadt. Gut zu erzählen auch im August.

Dynamik, das ist das Thema bei der Berliner Band Tele. Federführend ins Bild gebracht von dem Herrn vorne, der folglich der Sänger der Band sein muss. Mit einer Art Fackel hat er eine wilde, zufällige Lichtlinie im Stil informeller Kunst in das Fotostudio gezeichnet. Damit erreicht das Bild einen gewissen Überraschungseffekt: Geht so was fotografisch-analog? Oder nur digital am Computer?

Die restlichen Bandmitglieder haben sichtliche Schwierigkeiten, sich zur Bildidee zu verhalten. Mal in Denkerpose, mal wie ein Fußballer bei der Nationalhymne, mal mit temperamentvoller Debatten-Geste stehen sie da und wirken wie eine zufällig zusammenmontierte Gruppe von Einzelkämpfern. Das geht konträr zur freundlichen, warmen, heimeligen Musik von Tele. Konträr zum „wir“, von dem die Band lieber singt als vom „ich“. Bei Tele schrammeln die Gitarren melancholisch und die Trompete bringt einen Hauch Element of Crime. Kaum vorstellbar, dass der Fotograf des Bandfotos vorher mal die Musik von Tele gehört hat.

Zusammenhalt verspricht auf dem Bild allenfalls der exzessive Einsatz von dezidiert geerdeten Training- oder Jogging-Sweatshirts. Diese Band will keinen Glamour, diese Musiker wollen keine Stars sein. Ein dynamischer Lichtstreif vielleicht? Es bleibt die falsche Metapher. KLI