Per Film konstruierte Gefühle

20 JAHRE Erinnerung ist machbar: „Tears of the eyewitness“ im Schlesischen Busch

Auf dem ehemaligen Grenzstreifen, wo man nicht recht weiß, ist das Flutgraben, Schlesische Straße oder doch nur ein Ausläufer des Görlitzer Parks, steht der Grenzwachturm Schlesischer Busch. Das rund zwölf Meter hohe Gebäude ist einer der letzten erhaltenen und öffentlich zugänglichen Mauer-Führungstürme der DDR-Grenztruppen und beherbergt „Das Museum der verbotenen Kunst“. Seit 2005 wird es vom gemeinnützigen Kunstverein Kunstfabrik am Flutgraben e. V. mit dem Projekt „Letzte Überprüfung“ bespielt.

Hier zeigt Sven Johne, der aus Rügen stammt, „Tears of the Eyewitness“, einen 23-minütigen Film in Dauerschleife. Man sieht ein Studio, Scheinwerfer, Kameras usw. Es geht um eine Fernsehproduktion, die das Jahr 1989 thematisiert. Zwei etwa 40-jährige Männer sitzen sich auf Stühlen gegenüber. Der eine, ein US-Journalist, hat Notizen in der Hand und versucht zu beschwören, was der andere, David, in jenem Herbst 89 erlebt hat. „Erinnern Sie sich jetzt bitte daran, an die Nacht des 9. Oktober 1989, an die erste große Massendemonstration in Ostdeutschland seit 1953…“ Der andere reagiert nur mit leicht hilfloser Mimik und Gestik auf das Gehörte. Die revolutionäre Heldengeschichte, die der Newsman mit pastoralem, an einen Motivationstrainer erinnerndes Pathos erzählt, beginnt mit der ersten Montagsdemonstration am 11. 9. 89 und endet am 9. 11. des gleichen Jahres. Sie ist professionell konstruiert und kennt keine Brüche. Das Geschehen wird durch Personen verdeutlicht: ein Blinder taucht auf und eine alte Frau, die am Rande gestanden und den knüppelnden Volkspolizisten zugerufen hätte, „ihr nennt euch Volkspolizisten, aber wir sind doch das Volk“, woraufhin dann alle in einem immer gewaltiger werden Chor gerufen hätten „Wir sind das Volk“. Beim Betrachten stellt sich Unwohlsein ein; es ist ja eine perverse Situation, wenn jemand, der gar nicht dabei war, einem anderen so pathetisch dessen Geschichte erzählt.

Andererseits sind die Teile der Geschichte der Montagsdemonstrationen echt. Für seinen Film habe er in Leipzig recherchiert und die von ehemaligen Bürgerrechtlern betriebenen Montagsgespräche aufgesucht, sagt Johne. Am Ende des Films ist es dem US-Nachrichtenmann gelungen, den hilf- und sprachlosen Augenzeugen zum Weinen zu bringen. Die Tränen markieren eine Kapitulation; die mediale Konstruktion von Erinnerung ist an die Stelle der eigenen Erinnerung getreten. Vielleicht weint er auch, weil er selber keine Sprache für die eigene Erinnerung findet.

Die Arbeit leidet daran, dass sie eine einfache These über die Funktionsweise von Medien lediglich illustriert. Das Englische eignet sich für diese Illustration weit besser als das Deutsche. Wer mag, kann dem Künstler aber auch einen gewissen Antiamerikanismus unterstellen. Der Film ist in HD gedreht, was hier leider nicht so zur Geltung käme, bedauert Johne.

DETLEF KUHLBRODT

■ Im Grenzwachturm Schlesischer Busch, Am Flutgraben 3, Do. bis So., 14 bis 19 Uhr, bis 27. September