Weißbrot, Graubrot, Wurstaustausch

INNENPERSPEKTIVE Einfahren nur für Teilnehmer: Als Teil der Ausstellung „Knast sind immer die anderen“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst öffnet die Justizvollzugsanstalt Moabit jede Woche für eine kleine Besuchergruppe

Die Gefängnisleitung war skeptisch, blies alles ab – zu groß der Personalaufwand, zu ungeklärt viele Fragen

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Heute Abend eröffnet in der Kreuzberger NGBK die Ausstellung „Knast sind immer die anderen“. Sie will das Gefängnis mit den Werkzeugen der Kunst betrachten – als ein weitgehend unsichtbares, weggeschlossenes System, das aber gerade als gesellschaftlicher Randbereich, als Definition der Grenze des Sozialen, unsere Gesellschaft funktionieren lässt und spiegelt. Ein System, das seine oft wenig wahrgenommen Durchlässigkeiten hat. Die man suchen kann.

Oder einfach herstellen. Die Künstlerinnen Nadin Reschke und Katharina Heilein haben trotz aller bürokratischen und sicherheitstechnischen Hindernisse eine solche Öffnung hinbekommen. Während der Laufzeit der Ausstellung kann man jetzt eine sehr außergewöhnliche, unwahrscheinliche Erfahrung machen. Von der glücklicherweise die Leute vor und die Leute hinter den Mauern etwas haben.

Vor der NGBK parkt ein grauer, fensterloser Transporter, das Berliner Wappen und das Wort „Justiz“ prangen auf seiner Seite. Wir steigen ein (die Blicke der Passanten!), der Fahrer, der als Beamter der Fahrbereitschaft der JVA Plötzensee freiwillig bei dem Projekt mitmacht, setzt uns auf die Plätze, fünf vor jede Wand. Dann schließt er die Gittertür. Vom Draußen ist nur ein kleines Stück Himmel zu sehen, durch die vergitterte Dachluke. Nach kurzer Zeit orientierungsloser Fahrt ist allen leicht übel. Aus Lautsprechern kommen Interviewpassagen, die Reschke mit Inhaftierten und Entlassenen über das Häftling-Sein geführt hat: Wie ein Tier fühle man sich, zur Unselbständigkeit werde man erzogen, Knast, das sei vor allen Dingen eine sehr kleine Welt. Im Tunnel, wahrscheinlich unterm Potsdamer Platz, wird es stockduster, der Transporter schwankt bedrohlich. Jetzt ein Unfall, und man käme hier nicht raus. Fast ein kleiner Panikschub.

Endlich geht die Tür auf. Das Erste, was man sieht: Stacheldrahtrollen, hohe Ziegelsteinmauern. Wir sind im Hof der JVA Moabit. Vollzugsbeamte schließen Tore auf und hinter uns wieder zu. Dann stehen wir im runden, die ganze Gebäudehöhe durchmessenden Mittelraum der „Teilanstalt I“. Es ist so Bentham, so Foucault, dass man es kaum glauben mag. Sternförmig gehen die Zellengänge auf mehreren Etagen vom Zentralraum ab, eine große Bahnhofsuhr zeigt die Zeit, im gläsernen Kabuff sitzt die Aufsicht, Drahtnetze spannen sich über das Rund. Seit dem Jahr der Eröffnung, 1881, wurde nichts verändert. Wir gehen über die Station mit gelockertem Vollzug. Männer in Adiletten schlurfen umher, die Zellentüren sind offen, die Fernseher laufen. „Alle Zellen haben Fernseher mit ganz vielen Kanälen, zur Suizidprophylaxe“, erläutert der Sozialarbeiter.

An jeder Tür stecken Zettelchen: „U-Haft“ oder „Strafer“, „Weißbrot“ oder „Graubrot“, hier „Wurstaustausch“, dort „Moslem“. Ein Beamter sagt stolz: „Wir haben hier alle Kostformen.“ Ein Häftling ruft: „Schön hier, was? Mir haben sie gesagt, das ist ein Jugendfreizeitheim. Da war ich 16. Jetzt bin ich 28 und immer noch da.“

Dann haben wir die „Teilanstalt IV“ erreicht, ein frisch renovierter, noch unbelegter Gefängnisteil. In einem Raum erwarten uns Marco, Robin und ein Dritter. Wir sollen uns setzen, auf die Möbel-Unikate, die sie zusammen mit Katharina Heilein und einer Handvoll Mitgefangener gebaut haben. Ein kleiner Kinosaal ist entstanden, Heilein hat hier mit ihnen die 42 Jahre alte britische TV-Serie „The Prisoner“ (dt. „Nummer 6“) angesehen und aus den anschließenden Diskussionen eine Audioarbeit gemacht, die man sich jetzt in der Ausstellung in Kreuzberg anhören kann – am besten im Anschluss an den Ausflug nach Moabit.

Eine Ochsentour war es, bis Heilein das Projekt starten durfte. Die Gefängnisleitung war skeptisch, blies alles ab – zu groß der Personalaufwand, zu ungeklärt viele Sicherheitsfragen. Aber dann hat sich die pädagogische Leiterin der JVA vehement eingesetzt.

In einem rasant geschnittenen, gut gelaunten Film sieht man die Projektteilnehmer und Heilein bei der Arbeit, wie sie aus Pappe Sessel, Sofas, sogar Dekopflanzen und Vorhänge fertigen. Anschließend wird eine Folge der Serie gekuckt. So soll es jetzt die nächsten Wochen weitergehen: Je ein „Prisoner“-Termin pro Woche für Gefangene, je einer mit den Besuchern von draußen.

Die Projektteilnehmer sind auch bereit, ein bisschen zu erzählen, von sich, von der Arbeit. Robin, ein bedachter junger Mann, der Tattoos entwirft und sein Haar als Teller auf dem ansonsten kahlen Kopf trägt, sagt: „Die Serie gibt viel Stoff her, um über unsere eigene Situation hier drin nachzudenken und zu reden. So kommt man ein bisschen aus seinen eigenen Denk-Spiralen raus.“ Sein Mitgefangener ergänzt: „Aber hier drin ist es eigentlich noch schlimmer als im Film.“

Am Ende wird es ein bisschen hektisch, wir müssen pünktlich wieder in den Transporter steigen, der Beamte vom Fahrdienst möchte Feierabend machen. Marco sagt mit einem Grinsen: „Ja, komisch, jetzt ist die Zeit schon um, das passiert hier eigentlich selten.“ Dann fällt eine Gittertür zwischen sie und uns. Aber für eine Stunde war sie offen.

■ „Platzwahl beschränkt“, bis 27. 9., Fr. 15–18 Uhr, Anmeldung (max. 2 Pers.) ab Montag für den folgenden Freitag in der NGBK oder unter ngbk@ngbk.de <mailto:ngbk@ngbk.de> mit dem Betreff „Shuttle“. Mit Namen, Geburtsdatum und Personalausweisnummer