Das Dorf der Ermordeten

VERBRECHEN Der Dokumentarfilm „Auf halbem Weg zum Himmel“ arbeitet ein Massaker auf, das sich vor vierzehn Jahren in Guatemala ereignet hat

Zwölf Jahre haben Andrea Lammers und Ulrich Miller an der Produktion ihres Films gearbeitet, der vom Schicksal der Bewohner des guatemaltekischen Dorfes La Aurora erzählt. Dort hat sich 1995 ein fürchterliches Massaker ereignet, als das Militär aus bis heute nicht endgültig geklärten Gründen plötzlich auf die Dorfbewohner zu schießen begann und elf von ihnen tötete und mehr als zwanzig verwundete. Doch anders als so oft kamen die Soldaten diesmal nicht ungeschoren davon. Die Bevölkerung klagte und den Militärs wurde schließlich der Prozess gemacht: erstmalig in der Geschichte des vom Bürgerkrieg zerrütteten Landes.

In ihrem Film rollen Lammers und Miller die Ereignisse von damals auf, gleichzeitig wollen sie von deren Auswirkungen auf das heutige Leben in La Aurora erzählen. Gelungen ist ihnen die Montage der Bilder, die die Dorfbewohner nach dem Massaker zeigen, mit jenen – zumeist von ausländischen Fernsehteams aufgenommenen –, die den Verlauf des Prozesses dokumentieren. Wie in einem Gerichtsthriller funktioniert der Sog in die Ereignisse. Man will erfahren, wie es weitergeht, ob letztendlich Gerechtigkeit über Korruption und Willkür triumphieren kann. Man sieht Menschen, die fassungslos am Tatort stehen und erzählen, wie Angehörige vor ihren Augen erschossen wurden, Soldaten, die vor Gericht jede Schuld abstreiten.

Flankiert werden diese Aufnahmen von Interviews mit damals Beteiligten. So erzählt der Gemeindesprecher von La Aurora, Alfonso Hernández, wie er eine Autopsie der Leichen erzwingen wollte und diese aufgrund der zähen Mühlen der Bürokratie tagelang in der Sonne verwesten.

Anhaltende Drohungen

Der damalige Staatsanwalt berichtet, wie ihm von höchster Stelle nahegelegt wurde, den Fall abzugeben, und er, als er sich weigerte, so lange bedroht wurde, bis er sich entschloss, seinen Beruf aufzugeben. Ein Leutnant lehnt jede Verantwortung ab und behauptet, von den Bewohnern von La Aurora „als Geisel gehalten“ worden zu sein.

So spannend, ja berührend das alles ist: Dem Film gelingt es nicht, die Gegenwart der Dorfbewohner in einer Art und Weise einzufangen, die über eine bloße Aneinanderreihung von pittoresken Landschafts- und Alltagsaufnahmen hinausgehen würde. Meist sieht man die Menschen von La Aurora einfach nur herumstehen, zum Marktplatz oder in die Kirche gehen, ohne dass dadurch irgendetwas vermittelt würde. Hier mangelt es an einem erzählerischen Konzept. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, sich auf die Aufarbeitung der Vergangenheit zu konzentrieren.

So lässt sich nur raten, ob die Dorfszenen dazu dienen sollen, zu zeigen, dass sich hinter der scheinbaren Normalität bis heute der Abgrund eines nie aufgearbeiteten kollektiven Traumas auftut, oder ob sie von vornherein als reines Füllmaterial eingeplant waren. Die Bilder werden beliebig und austauschbar.

Überhaupt tun sich die Filmemacher schwer damit, visuell zu erzählen. Sobald nicht gesprochen wird, verliert der Film den erzählerischen Faden. Dieser Schwäche zum Trotz ist „Auf halbem Weg zum Himmel“ ein sorgfältig recherchierter und über weite Strecken gut montierter Film, der lange nachwirkt.

ANDREAS RESCH

„Auf halbem Weg zum Himmel“. Regie: Andrea Lammers und Ulrich Miller. Deutschland 2008, 108 Min. Die Berlin-Premiere heute Abend, 20 Uhr, in Anwesenheit der Regisseure, im Kino Babylon Mitte