Architektur: Brücken zum Angeben

Hamburg ist und war ein ideales Experimentierfeld für Brückenbauer aller Art. Die aktuelle Ausstellung im Museum der Arbeit demonstriert, wie das Fortschrittsdenken der Brückenbauer oft an hanseatischer Zögerlichkeit scheiterte.

Bewegliches Gestänge: hölzerne Klappbrücke im Binnenhafen um 1910. Bild: Museum der Arbeit

Kann man über Brücken streiten? Ja, man kann. Und man tut es mit Leidenschaft, seit Jahrhunderten, und das, obwohl - oder gerade weil? - sie Symbol der Versöhnung sind. Brücken haben Konstrukteure, Nutzer und Betrachter immer entzweit, und das nicht erst seit den Querelen über die Fehmarnbelt-Querung. Nur, dass die Verfechter früher nicht mit Ökologen fochten, sondern mit Kämmerern, konservativen Architekten und skeptischen Ingenieuren.

Hamburgs Brücken, denen derzeit eine Ausstellung im Museum der Arbeit gilt, sind markantes Beispiel für dieses Phänomen - und ganz nebenbei offenbart die Schau eine bemerkenswert kleinkrämerische Mentalität Hamburger Granden. Da fand zum Beispiel das Hamburger Fremdenblatt 1912, die neuen Stahlbrücken seien unschön, weil zu technisch, und man sollte die diesbezügliche ästhetische Störung des Stadtbildes möglichst gering halten. Dabei waren Stahlbrücken wesentlich leichter zu bauen als steinerne: Man produzierte die Einzelteile vor und musste sie vor Ort nur noch zusammensetzen. Aber Hamburgs Architekten waren skeptisch angesichts der fachwerk-artigen, filigranen Eisenkonstruktionen, die die Stein- und Stahlbetonbrücken des 19. Jahrhunderts ersetzen wollten. Sie blieben es auch, als längst stabiles Eisen geschmiedet werden konnte, das Züge und Bahnen nachweislich problemlos trug.

"Brückenmetropole Hamburg" heißt - so gesehen leicht süffisant - die Hamburger Ausstellung, die neben alten Bauplänen und Fotos auch Didaktik-Nischen bietet, in denen man sich über Druck- und Zugbelastung informieren kann. Dass Hamburg mit 2.500 Brücken reicher bestückt ist als London, Amsterdam und Kopenhagen, passt gut zum Weltstadt-Image.

Hamburgs erste Brücke war vermutlich im 11. Jahrhundert eine hölzerne Furt durch die Alster.

Bei Gründung des Hafens 1189 hatte Hamburg acht Brücken, um 1400 waren es 40, Anfang des 18. Jahrhunderts 80.

Die ersten Steinbrücken gab es Anfang des 15. Jahrhunderts.

1839: Bau der ersten St. Pauli-Landungsbrücken mit beweglichen Pontons.

1842: Der Hamburger Brand zerstört ein Drittel der Stadt. Der Wiederaufbau ist auch Brückenboom.

1872: Baubeginn der ersten Elbbrücke, einer der frühesten Hamburger Stahlbrücken.

1883-1898: Bau des größten Teils der Speicherstadt samt Brücken.

1906: Baubeginn der Hochbahn, deren Viaduktstrecken 1912 eröffnet werden.

1974: Eröffnung der Köhlbrandbrücke, einer Schrägseilkonstruktion.

Dass keine Hamburger Holzbrücken erhalten sind, versteht sich von selbst. Von ihren steinernen Nachfolgern stehen dagegen - inzwischen restauriert - noch einige, so zum Beispiel die 1899 eröffnete Reesendammbrücke am Jungfernstieg. Diese Bauwerke sind solide, manchmal auch bewusst pompös wie die riesige Kersten-Miles-Brücke (1897) in St. Pauli, die mit Konvoikapitänen - Repräsentanten der Hamburger Seemacht - dekoriert ist. Brückenbau war auch ein selbstbewusster Akt hanseatischer Senatoren und Kaufleute, die gern PR in eigener Sache betrieben - Werbung für den "Wirtschaftsstandort Hamburg", auch der eigenen Bevölkerung gegenüber. Dazu passte diese breiteste aller Hamburger Brücken, von denen die ersten im 11. Jahrhundert errichtet wurden, in St. Pauli, die man zudem recht angstfrei benutzen konnte: Schließlich führte sie über festes Land.

Wie aber die Bevölkerung dazu bringen, den ungefähr zeitgleich fertig gestellten Brücken über die Elbe zu trauen? Die Antwort war schlicht: Man kooperierte quasi mit Furcht und Aberglauben und schuf ein neues Symbol: das als Stadttor inszenierte Brückenportal, und schlug so zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits wurde die Brücke als Tor zu neu erschlossenen Gebieten und Transportwegen profiliert, andererseits wurde jene Sicherheit suggeriert, die mittelalterliche Stadttore boten: Mit neogotischen, scheinbar massiven Backsteinportalen stattete man die Elbbrücken, von denen die ersten im 11. Jahrhunderts errichtet wurden, aus. Sie sollten für die Stabilität des Bauwerks bürgen. Außerdem waren solche Portale repräsentativ und in diesem Punkt scheute man im sonst sparsamen Hamburg schon damals keine Kosten.

In puncto Weltoffenheit stand man sich allerdings bisweilen selbst im Weg: 25 Jahre lang stritten Behörden über die Elbbrückenführungen zwischen Hamburg und Harburg. Während dieser Zeit konnte man direkt von Hamburg nach Berlin, aber nicht nach Hannover fahren. Abgesehen von derlei Querelen eignete sich Hamburg perfekt zum Austesten zahlreicher Brückenvarianten, die vom Schwebebahn-artigen Viadukt der Hochbahn über die Pontons am Hafen mit beweglichen, gezeitenfreundlichen Gelenken bis zu Dreh- und Klappbrücken im Hafen reichten.

Austesten konnte man allerdings auch - und eitle Architekten taten es gern - Dimension und Wirkung des anfangs so verhassten Stahls. Die riesigen Fischbauchträger der bis heute erhaltenen Straßenbrücke über die Norderelbe (1928) dienen ebenso stark der Optik wie die 1974 eröffnete Köhlbrandbrücke. Dimensionen, die vielleicht auch den Triumph darüber ausdrückten, dass die Technik-Skepsis vorbei war und man die puristische Ästhetik des Stahls zu schätzen lernte. Die Verzierungen der Hamburger Hochbahn-Brücken etwa sind fast alle strukturell, quasi systemimmanent: Hier ein Niet, da eine schüchterne Säulen-Deko - das wars dann schon.

Dass ausgerechnet in dieser Ära etliche der wuchtigen neogotischen Brückenportale abgerissen wurden und sogar Kunsthallen-Gründer Alfred Lichtwark derlei historisierendes Zierrat für unehrlich und übertrieben hielt, überrascht da wenig. Genauso wenig wie die Tatsache, dass ein Problem alle Ären überdauerte: der morastige Hamburger Untergrund, der vor jedem Neubau aufwändige Pfahlgründungen nötig macht, damit Gebäude stabil stehen. Das ist die Kehrseite der so gepriesenen "amphibischen Stadt": dass Stabilität mühsam erkauft und potenziell vergänglich ist.

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