ZWISCHEN DEN RILLEN: KID CUDI
Das Hiphop-Album der Stunde

Das schafft einen ungemein transparenten, luftigen Sound, aber vor allem eins: viel Platz

In den USA geht wohl alles etwas schneller. Während hierzulande ein Peter Fox auf der Höhe seines Erfolgs den Rücktritt verkündet, fühlt sich ein Kid Cudi schon bereits vor Erscheinen seines Debütalbums genötigt, seinen baldigen Abschied anzudrohen. Der ganze Stress wäre ihm zu viel geworden, ließ der Rapper aus Cleveland noch vor seinem Durchbruch verlauten. Und ist mittlerweile schon wieder zurückgetreten vom Rücktritt, gerade noch rechtzeitig vor dem Erscheinen von „Man On The Moon: The End Of Day“.

Dass Scott Ramon Seguro Mescud etwas dünnhäutig geworden war angesichts der Aufmerksamkeit um sein Alter Ego Kid Cudi, das war allerdings zu verstehen. Entdeckt und gefördert von Kanye West wurde der mittlerweile 25-Jährige nach nur wenigen, tausendfach auf Myspace downgeloadeten Songs und gerade mal zwei gefeierten Mix-Tapes hurtig zur neuen Hoffnung des alternativen Hiphop befördert. Und fast ebenso schnell aber auch bereits als große Enttäuschung apostrophiert.

Cudi selbst allerdings war nicht ganz unschuldig an der allgemeinen Aufregung, befeuerte er doch die bisweilen hitzig geführten Diskussionen noch, indem er öffentlichkeitswirksam moserte, wenn ihn ein Hiphop-Magazin nicht aufs Titelbild heben wollte.

Größenwahn gehört zum Hiphop nun mal wie der Papst in den Vatikan. Doch mit „Man On The Moon“ unterfüttert Kid Cudi die eigenen Ansprüche durchaus eindrucksvoll. Weniger, weil das Album in fünf Kapitel strukturiert und als Konzeptalbum daherkommt, sondern eher wegen der Idee, den klassischen Storytelling-Rap mit den Mitteln des Hitparaden-Hiphop wiederzubeleben. Im Klartext: Kid Cudi rappt nicht über seine dicken Eier, aber weiß eine gute Melodie zu schätzen.

Minimalistische Beats

So entfaltet sich bereits in den zumeist minimalistischen Beats, trotz aller spartanischen Strenge, die ganze Ambivalenz des Hiphop: Der zuletzt allgegenwärtige Autotune-Effekt wird zwar nur sparsam eingesetzt, dafür setzt Cudi auf stahlblaue Keyboardflächen, die aus Science-Fiction-Soundtracks entwendet scheinen. Aber er schreckt auch nicht davor zurück, aus einem Nummer-eins-Hit wie Lady Gagas „Poker Face“ zu sampeln. Ebenso offensichtlich wie die schnittigen Querverweise in die Charts sind die Ehrerbietungen an die goldenen Zeiten des Rap.

Diese Quadratur des Kreises setzt sich fort in der grundsätzlichen Struktur der Songs: Die Rhythmen spielen mit den zuletzt so modischen Synkopierungen, ohne sie wirklich auszuformulieren. Die Beats klingen einerseits bewusst nachlässig programmiert, als verwahrten sie sich demonstrativ gegen die im Club üblichen Überwältigungsstrategien, wirken andererseits aber auch wie mathematisch abgezirkelt auf der Suche nach dem Rezept, einen Tanzboden zum Vibrieren zu bringen. Bestes Beispiel dafür: „Enter Galactic You And Me“, eine glitzernde Tanznummer, deren Sounds sich passgenau ins grassierende Achtziger-Revival fügen.

Was alle Stücke miteinander verbindet, ist ihr Prinzip, lieber mit Freiraum zu operieren als mit Klängen. Das schafft einen ungemein transparenten, luftigen Sound, aber vor allem eins: viel Platz. Den füllt Kid Cudi nun mit einer Währung, in der im Rap zuletzt kaum mehr ausbezahlt wurde: Verletzlichkeit. Wo andere Rapper ihre Tagträume vom schnellen Geld, glitzernden Autos und leichten Mädchen in Reime fassen, sind es bei Cudi vor allem Albträume. Wenn die Konkurrenz sich eine Zukunft in Ruhm und Reichtum zusammenfantasiert, rekapituliert er in seinem melodischen, fast schon femininen Rap-Stil eine gar nicht glamouröse, allzu alltägliche Vergangenheit. Den frühen Krebstod des Vaters, die Dämonen, die die Mutter verfolgen, die Versuchungen, die ihn selbst immer wieder heimsuchen. Kid Cudi reanimiert den Rap als Beichtstuhl: Hier hast du drei Minuten Beats, jetzt rede, gestehe, bekenne!

„I’ve got some issues that nobody can see and all of these emotions are pouring outta me“, heißt es denn dann auch im Refrain des so zentralen wie epochalen „Soundtrack 2 My Life“, vorgetragen in einem verdächtig eingängigen Singsang. Dieser leicht schludrige Reimfluss ist es, der „Man On The Moon“ endgültig zum Hiphop-Album der Stunde adelt.

Denn Kid Cudi vereinigt darin wie selbstverständlich den sich an der Rhythmik orientierenden Rap-Stil eines Nelly mit der kühlen Eleganz eines Nas. Und dank seiner lyrischen Fähigkeiten ist er in der Lage, einen Schritt weiter zu gehen und die gesellschaftliche Relevanz der Ostküste mit dem Partypotenzial des Südstaaten-Raps zu fusionieren zu einer möglichen Zukunft für intelligenten Rap. THOMAS WINKLER

■ Kid Cudi: „Man On The Moon: The End Of Day“ (Universal)