Mit der Freiheit zum Nonsens

FILMFESTIVAL Endspurt in Venedig. Werner Herzog, im Wettbewerb gleich mit zwei Filmen vertreten, liefert ein frivoles Remake von „Bad Lieutenant“ ab

Den Bad Lieutenant gibt Nicolas Cage mit schiefer Schulter und vorgeneigtem Kopf

VON CRISTINA NORD

Bevor Samstagabend die Filmfestspiele von Venedig zu Ende gehen werden und in der Sala Grande der Goldene Löwe verliehen wird, steht ein Gewinner schon fest: Werner Herzog. Denn der 1942 in München geborene, seit langem in Los Angeles lebende Regisseur hat gleich zwei Filme im Wettbewerb der Mostra präsentiert, „Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans“ und „My Son, My Son, What Have Ye Done“ – wenn das kein Zeichen der Wertschätzung ist!

Dass der erste Film laufen würde, stand seit der Bekanntgabe des Programms fest; beim zweiten handelt es sich um einen der von Festivalchef Marco Müller so geliebten Überraschungsfilme, über deren Identität bis zum Zeitpunkt der ersten Pressevorführung nur Gerüchte zirkulieren. Im Fall von Herzog freilich waren die Gerüchte so handfest, dass die Überraschung nicht allzu groß geriet.

„Bad Lieutenant“ ist ein freies Remake von Abel Ferraras gleichnamigem Film aus dem Jahr 1992. Ein korrupter Polizist interpretiert das Gesetz auf seine Weise, er nimmt Drogen, hat Schulden, seine Freundin schickt er auf den Strich, und manchmal nötigt er Teenager zum Sex. Bei Ferrara war das ein dunkles, intensives, mit dem Katholizismus ringendes Stück Kino; Harvey Keitel spielte die Hauptrolle, Schauplatz war ein heruntergekommenes New York. Herzog verlegt den Plot nach New Orleans und macht daraus einen heiteren, frivolen Film.

Immer wieder nimmt er sich die Freiheit zum Nonsens, etwa wenn er in einer Szene die Perspektive eines Alligators nachstellt, in einer anderen mit einer auf dem Kopf tanzenden Figur arbeitet, die die Seele eines eben Erschossenen vorstellen soll, und in einer dritten mit zwei Leguanen, die aus nächster Nähe in die Kamera fauchen. Ihre fremdartigen Bewegungen werden von einem Soulstück flankiert, das vom Ende einer Liebe erzählt: „I said I found a new love, dear.“ Es sieht aus, als sängen die Tiere Playback.

Den Protagonisten gibt Nicolas Cage mit schiefer Schulter und vorgeneigtem Kopf. Der Blick, erklärt Herzog bei der Pressekonferenz zu „Bad Lieutenant“, habe den Schultern vorauseilen sollen; Cage ergänzt: „Immer wenn ich mich körperlich für eine Rolle verändere, hilft mir das.“ Um den Lieutenant McDonagh überzeugend darzustellen, habe er sich an weit zurück liegende Drogenerfahrungen erinnert und diese durch sein „heutiges, nüchternes Selbst“ gefiltert. Auf die Frage nach Abel Ferrara und dessen Einfluss antwortet Herzog: „Ich weiß nicht, wer das ist. Ich habe die meisten Filme von ihm nicht gesehen. Aber ich hoffe, dass wir uns bald kennenlernen.“ Ob es dazu kam – Abel Ferrara besuchte Venedig, weil er außer Konkurrenz den Dokumentarfilm „Napoli, Napoli, Napoli“ präsentierte –, ist nicht überliefert.

„My Son, My Son, What Have Ye Done“ fällt eine Nummer kleiner aus als „Bad Lieutenant, ist aber nicht minder sympathisch in seiner Verschrobenheit – und hat mit Liedern von Chavela Vargas wunderschöne Musikstücke. Diesmal ermittelt Willem Dafoe als Detective Havenhurst in einer Mordsache in San Diego, Hauptverdächtiger ist ein junger Mann namens Brad McCullum (Michael Shannon), die Tote ist Mrs McCullum, Brads Mutter. Udo Kier hat einen Auftritt als Regisseur einer Studententheatergruppe, die die „Orestie“ einstudiert. Die Rolle des Muttermörders Orestes hatte niemand anderes als Brad inne. Chloe Sevigny, im Film Brads Verlobte, gibt in der Studenteninszenierung Klytaimnestra, und für ein paar Sequenzen verirrt sich der Film in den peruanischen Dschungel. Was in „Bad Lieutenant“ die Reptilien, sind hier die Vögel: Zu seinen beiden Flamingos sagt Brad zärtlich „eagles in drag“.

Mal sehen, wer Samstagabend außer Werner Herzog noch als Gewinner feststehen wird.