Auf der Suche nach der schleierlosen Zeit

GENDER TROUBLE Im Ballhaus Ost verwirren sich Sprachen und Geschlechter. „Tehran Banou – Lady Teheran“ des iranischen Regisseurs Ajat Najafi erzählt von der Suche nach einer fiktiven Sängerin aus den 60er-Jahren

„Your parents expected you to be a boy. No wonder you’re so fucked up“, sagt der Kaffeesatz. Zum Glück haben wir unsere Judith Butler gelesen

VON ARIANE BREYER

Ein bisschen hat man das Gefühl, einer privaten Diavorführung beizuwohnen. Das liegt auch am Ballhaus Ost mit seiner Wohnzimmerbehaglichkeit. Man sitzt praktisch mit den Schauspielern auf der Bühne aus Sofas und lümmelt sich nur deshalb nicht gänzlich ungezwungen in den Sessel, weil man beständig fürchtet, einer der raumgreifenden Tänzer könnte stolpern und einem das Rotweinglas aus der Hand schlagen. Die Intimität kommt aber auch daher, dass es in „Tehran Banou – Lady Teheran“ eigentlich um ganz persönliche Erfahrungen geht – verpackt und verschachtelt in einer Collage aus anonymen Frauenschicksalen.

Was wäre, wenn?

Und so verliert man im Laufe der anderthalb Stunden mehrfach den Überblick. Die sechs Schauspieler wechseln ihre Figuren und Sprachen nach Belieben, mit Kunstschnauzer und Brusthaartoupé werden sie zum Mann, mit Stöckelschuhen zur Frau. Jeder darf mal Lady Teheran sein, eine fiktive iranische Sängerin und Tänzerin aus den 60er-Jahren. Sie ist der Mythos, der die Suche antreibt: die Suche nach einer Zeit, in der die Zurschaustellung von Weiblichkeit eine persönliche Entscheidung war und keine politische Unmöglichkeit. Einer Zeit, in der das persische Kino seine größten Stars hervorbrachte, die feierten wie ihre Kollegen in Hollywood. „Was wäre, wenn das hier keine schäbige kleine Bühne wäre, sondern ein prachtvolles Theater, die Holzstühle mit Samt bezogen?“, fragt eine Darstellerin.

Dieses utopische „Was wäre, wenn“ hat natürlich nichts zu tun mit einer Verklärung des Schahregimes, in der Lady Teheran groß wurde. Es fragt vielmehr nach den Spuren persönlicher Freiheit, die von den Mullahs auf einen minimalen Bereich, die Größe des heimischen Wohnzimmers, zurückgedrängt wurde. Für so ein Stück ist das Ballhaus, in dem man sich unter seinesgleichen fühlt, der beste Ort.

Sprechen die Frauen über Sex, tun sie dies heimlich hinter der Kulisse, und eine Kamera überträgt ihr eindeutiges Lachen in Nahaufnahme auf den überdimensionalen Lampenschirm auf der Bühne. Später werden Fotos vom Familienurlaub darauf projiziert, rechts eine iranische Familie am Kaspischen Meer, links eine deutsche an der Ostsee, und während man sich noch fragt, was genau das beweisen soll, wechselt die Bilderkulisse und zeigt die iranischen Protestbewegungen von 1906 und 1979 und daneben Bilder vom Fall der Berliner Mauer.

Alles rankt sich dergestalt assoziativ um das Postulat der Selbstbestimmung, der politischen wie der sexuellen. Der Patchwork-Charakter wird noch dadurch gesteigert, dass die Schauspieler immer wieder aus den Rollen fallen und besprechen, welche historische Szene nun zu spielen sei. Das ist gut, weil in diesen Passagen je eine Figur mit betont undidaktischer Geste ein bisschen Geschichtsunterricht geben kann und der Zuschauer sich wieder zurechtfindet, aber auch schlecht, weil die Ideen und Szenen so umso unsortierter wirken. Da wollte einer sehr viel erzählen und hat sich dabei ein wenig verheddert.

Die Gender-Zurichtung

Der iranische Regisseur Ajat Najafi hat sich schon in seinem Dokumentarfilm „Football under Cover“ mit Frauenthemen beschäftigt. Dort ging es um eine Kreuzberger Frauenfußballmannschaft, die nach Teheran fliegt, um unter Ausschluss der männlichen Öffentlichkeit gegen die iranische Nationalmannschaft zu spielen. Der Versuch einer staatlichen Reglementierung weiblichen Verhaltens erschien darin sehr absurd und sehr witzig. „Tehran Banou“ dagegen interessiert sich mehr für die individuellen Konsequenzen einer solchen Gender-Zurichtung. „Your parents expected you to be a boy. No wonder you’re so fucked up“, liest die Wahrsagerin den Kaffeesatz. Und hier heben die Biografien aus 1001 Nacht auf eine kulturübergreifende Ebene ab. „I fall in love with people, not with gender“, sagt eine der Frauen. Wir haben am Ende, meint die Lady vielleicht, doch alle dieselben Probleme. Im Symbol des Schleiers wird das nur noch augenfälliger. Doch immerhin kann man mit ihm, das zeigt sich hier, ziemlich sexy tanzen.

■ Weitere Aufführungen vom 16. bis 18. 9. und vom 21. bis 23. 10., jeweils um 20 Uhr