Herr Stolz setzt ein Fanal

SPRACHENFEST Offiziöse Wissenschafts-Popularisierungsprogramme hinterlassen kaum Spuren. Deshalb hat Thomas Stolz eins von unten geplant: Der Linguist macht Bremen für drei Wochen zum glücklichen Babel

Sprache ist ein bisschen wie Luft. Ständig weht sie um uns herum, ohne sie ist alles nix – und trotzdem: Wer denkt schon an Luft, außer Experten. Die aber sorgen sich: Die Luft wird dramatisch knapp, die Sprache auch: In 100 Jahren gibt es weltweit vielleicht nur noch 650 Sprachen. Und das, sagt Thomas Stolz, „ist die pessimistische Schätzung“.

Momentan gibt noch es 6.500 Sprachen, und die Optimisten „rechnen damit, dass 60 Prozent verschwinden“, sagt der Bremer Professor. Das Deutsche „ist da noch gar nicht mit eingerechnet“. Eine feine Spitze – denn es gibt sie ja, jene, denen deshalb Panik in den Augen glänzt.

Stolz ist da nicht intolerant. Er hätte auch dem von Überfremdungsängsten geplagten Sprachreiniger-Verein Deutsche Sprache (VDS) ein Eckchen eingeräumt beim weltersten „Festival der Sprachen“, das heute beginnt. Aber der habe sich nicht gemeldet. Vermissen wird ihn auch keiner: ein Monsterprogramm, drei Wochen, 14 internationale Symposien – von der Konferenz zu einsilbigen Äußerungen über die Koloniallinguistik-Tagung bis zum Gründungskolloquium des Chamorro-Forscher-Clubs – Schnupperkurse in 20 Sprachen, Lyrik-Lectures, schrille Happenings, jeden Tag Kultur in einem anderen Idiom: Jazz auf Ladinisch, katalanische Performance, Gebärden-Shakespeare – die ganze Wucht des Phänomens überflutet Bremen.

Das könnte sich 21 glückliche Tage Babel nennen. Oder eben: „Welthauptstadt der Sprachen“. Den Titel hat Stolz erfunden, die Unesco hat’s gebilligt. Der Bürgermeister auch, bringt ja Mieteinnahmen, die Chose. Finanziert haben das Festival – fast komplett – Sponsoren.

Die Idee ist aus Frust geboren. Bremen trug schon den Titel „Stadt der Wissenschaften“. Sehr aktiv war die Uni auch im Jahr der Geisteswissenschaften. Das war… wissen Sie noch wann? Nein? So geht’s fast allen. „Danach“, also 2008, „war ich so wütend“, sagt Stolz, „da wollte ich mit solchen Programmen nichts mehr zu tun haben.“ Bloß – Pus, also „Public Understanding of Science“, ist ja gut: Popularisieren, sensibilisieren – alles wichtig. Also hat er genetzwerkt, ein Team um sich geschart, sein Forschungssemester investiert: Ein Pus-Programm als Graswurzelrevolution der Wissenschaftspolitik. „Wir wollen, dass sich am Ende jeder erinnert: Da war doch was“, sagt Stolz. Scheint machbar.

Und selbst wenn im Kopf nur der Merksatz bliebe: Linguistik ist, wenn’s knallt – es wäre ein Erfolg. BES

bis 7. 10., überall in Bremen. Infos: www.festival.uni-bremen.de