Countrylegende George Jones: Schuld und Sühne

Der US-amerikanische Sänger George Jones ist einer der größten Halunken im Showbusiness und erfreut sich allen Skandalen zum Trotz bester Gesundheit.

Ist der meistgespielte Künstler bei Bob Dylans Internetradio "Theme Time": George Jones. Bild: ap

Ich will nicht, dass meine Frau Dreck anfasst, deshalb kann ich nicht nach Hause gehen." - Der Song "I Cant Go Home" von 1967 gehört nicht zu den großen Hits von George Jones. Aber, kaum je wurde das zu verzweifeltem Selbsthass gesteigerte Schuldbewusstsein des vergnügungssüchtigen Herumtreibers drastischer und radikaler in einen Vers gepackt.

Mit Schuld, Reue und Selbstanklagen kennt sich der mittlerweile 77-jährige US-Countrysänger George Jones aus. Niemand hat dieses Feld so glaubwürdig und andauernd beackert wie er. Zwei Albumsammlungen des Bremer Bear-Family-Labels geben nun Gelegenheit, sich mit George Jones, seinem Leben und seinem Werk auseinanderzusetzen: "Walk Through This World With Me" (fünf CDs) und "A Good Year For The Roses" (vier CDs).

Bear Family steht seit Jahren für eine neue Editionspraxis, die der gewachsenen musikhistorischen Bedeutung der Popmusik Rechnung trägt. Hier werden in Multi-CD-Boxen Gesamtwerke präsentiert, chronologisch geordnet. Hinzu kommen aus den Archiven der Plattenfirmen zutage geförderte Aufnahmen, begleitet von Büchern im LP-Format, die mit historischen Fotos und Original-Albumcovern aufwarten können. Auch penible Besetzungslisten gehören dazu - aus denen man etwa entnehmen kann, dass der legendäre Nashville-Drummer Buddy Harman in Wirklichkeit Murrey mit Vornamen hieß. Man spürt, hier ist Gründlichkeit am Werk, muss aber auch konstatieren, dass so die Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten gelegt wird.

1931: George Glenn Jones wird in Saratoga, Texas geboren und wächst in Vidor mit Bruder und fünf Schwestern auf

1940: erste Gitarre und erste Cents als Straßenmusiker

1947: weg von zu Hause und Anstellung bei einer Radddiostation im texanischen Jasper

1950-51: Ehe mit Dorothy Bonvillion (ein Kind)

1954-68: Ehe mit Shirley Ann Corley (zwei Kinder)

1954: erste Plattenaufnahmen

1955: für Song "Why, Baby, Why" als "Grand Ole Oprys New Star" nominiert

1959: Erster von vierzehn Nr.-1-Hits in den "Billboard Country Charts": "White Lightnin'"

1969-75: Ehe mit Tammy

Wynette (Tochter Georgette)

1969: George Jones wird Mitglied der Grand Ole Opry

1973: Erster von drei Nr.-1-Hits mit Gattin: "Were Gonna Hold On"

1981: Grammy für "He Stopped Loving Her Today"

1983: Ehe mit Nancy Sepulveda

1983: letzter Country-Nr.-1-Hit:

"I Always Get Lucky With You"

1992: Aufnahme in die "Country Music Hall of Fame"

1996: Autobiografie "I Lived To Tell It All"

1999: Grammy für "Cold Hard Truth"

2008: Ehrenmedaille des Kennedy Centers. George Jones lebt heute mit Familie in Franklin, Tennessee. (dd)

Eine solche Behandlung, die sonst eher das Werk von Großliteraten erfährt, wird so nun den Aufnahmen des polytoxikomanen Quadratschädels George Jones zuteil, die er zwischen 1965 und 1971 für das Label Musicor einspielte. Das Leben von George Jones ist ja eine schmuddelige, unmoralische Schelmenfantasie, die sich auch Nabokov oder John Irving nicht grotesker und unrealistischer hätten ausdenken können.

Eine wichtige Rolle kommt dabei den Sidekicks zu, wie etwa Pappy Daily - schon der Name kann eigentlich nur ausgedacht sein. Aber nein: Harold Daily, wie er eigentlich hieß, war ein typischer Vertreter jener etwas windigen Kleingewerbetreibenden, die es vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren im Musikgeschäft der USA in großer Zahl gab. Er arbeitete in den Diensten von United Artists, beteiligte sich aber mit privatem Geld am UA-Sublabel Musicor. Er schaffte es, den bei UA unter Vertrag stehenden, nur leidlich erfolgreichen, aber perspektivreichen Nachwuchssänger Jones zu Musicor hinüberzubugsieren, und ließ ihn fast ausschließlich Songs aufnehmen, die er in seinem Musikverlag verlegte.

Auch die Produktion übernahm er selbst - allerdings nur auf dem Papier: "Die meisten Leute denken, Pappy sei der Produzent gewesen, aber das war er nicht", wird Jones im Booklet von "Walk Through This World" zitiert. "Er buchte das Studio und füllte die Formulare aus. Die Arrangements haben die Musiker und ich im Studio ausgetüftelt."

Viel Zeit blieb ihnen dafür nicht, denn Nashville war schon damals ein großer musikalischer Industriebetrieb und Pappy Daily einer seiner schärfsten Schinder: "Heutzutage arbeiten Künstler zwei oder drei Tage an der Aufnahme eines Songs", so Jones. "Als ich bei Musicor war, nahm ich ein ganzes Album in drei Stunden auf, auch wenn das gegen die Vorschriften der Musikergewerkschaft verstieß. Wir hatten einen Take pro Song, Pappy Daily hörte sich einmal alles an und dann brüllte er: ,Abschicken!' Am nächsten Tag waren die Aufnahmen im Presswerk."

Rund 280 Aufnahmen kamen so für Musicor zustande, sie finden sich in diesen beiden Boxen (und einer weiteren, die die Duette enthält, die Jones mit Gene Pitney, dem seinerzeit größten Musicor-Star, aufnehmen durfte). Sie zeigen Jones als Rohdiamanten, dem nicht immer alles gelingt, was er anpackt, und der nicht immer mit erstligareifem Songmaterial ausgestattet wird. Die Möglichkeiten, die er und die Musiker mit diesen Kompositionen haben, bewegen sich innerhalb der Grenzen jenes Sounds für die Jukeboxes der Truck Stops und Honky Tonks, der die ländlichen Gebiete der USA in den Sechzigerjahren definiert - der Sound des "Okie From Muskogee" oder auch jener Rednecks, die den Bikern etwa in dem Film "Easy Rider" den Garaus machen.

Auf der anderen Seite ist den Textern dieses Genres nichts Menschliches fremd. So erkennt man auch die Höhepunkte der beiden George-Jones-Boxen, wie oft im Country-Genre, am Titel: "Hangin On To One (And Hangin Round The Other)", "Tell Me My Lying Eyes Are Wrong", "There Aint No Grave Deep Enough", "Divorce Or Destroy". Hier künden sich jene existenziellen Schuld-und-Sühne-Dramen an, bei deren Aufführung es Jones scheinbar immer nur unter größter Anstrengung vermeidet, in Tränen auszubrechen.

In Wahrheit neigt sich die Balance in seinem Leben wohl eher in Richtung Schuld. Vor allem Frauen bekamen es dicke, wenn Jones in Alkohol- und Kokainwahn die Sicherungen durchbrannten. Ehefrauen, Geliebte, Zufallsbekanntschaften wurden geschlagen, gewürgt und mit Waffen bedroht, wie Randall Rieses Genre-Skandalbuch "Nashville Babylon" zu berichten weiß, das Jones ein eigenes Kapitel widmet.

Aber auch sein langjähriger Saufkumpan Earl "Peanut" Montgomery, der Bruder von Jones langjähriger Duett-Partnerin Melba Montgomery, der als Songwriter einige der Highlights in Jones Repertoire verantwortete, wurde nicht verschont. Als er eines Tages zu Gott fand und dem sündigen Treiben abschwor, schoss Jones auf ihn mit den Worten: "Wir wollen doch mal sehen, ob dein Gott dich auch hiervor beschützen kann." Und sehet: Gott beschützte Peanut und ließ die Kugel einige Zentimeter neben ihm einschlagen - und verhinderte so auch ein unrühmliches Ende der Jonesschen Sangeskarriere, vielleicht eingedenk der Tatsache, dass der auch mehrere Alben mit religiösen Besinnungsliedern eingesungen hatte. Die meisten dieser Skandale ereigneten sich nach der Musicor-Zeit, als Jones seiner Gattin und bevorzugten Duett-Partnerin Tammy Wynette zu Columbia und zum Produzenten und Songwriter Billy Sherrill (weltbekannt etwa durch Tammys "Stand By Your Man") gefolgt war.

Er musste nun nicht mehr selbst arrangieren, stattdessen kreierte Sherrill am Fließband dramaturgisch feinst durchdachte Minidramen für ihn - was Jones vielleicht zu viel Freizeit verschaffte. Jedenfalls waren die Siebziger Jones künstlerisch wagemutigstes und erfolgreichstes Jahrzehnt, aber menschlich wohl sein finsterstes. "Nashville Babylon" listet endlos Verhaftungen wegen Trunkenheit am Steuer und Waffenbesitz sowie häusliche Gewalt und vor allem immer wieder ohne Grund abgesagte Konzerte auf, was ihm den Spitznamen "No Show Jones" einbrachte und ihn aufgrund der damit verbundenen Vertragsstrafen an den Rand des Bankrotts führte.

Seine Kollegen Johnny Cash und Waylon Jennings, beide selbst dem Rausch durchaus zugeneigt, halfen ihm finanziell aus der Patsche. Man möchte meinen, wie die beiden hätte Jones irgendwann für dieses Leben den bekannten Preis zahlen oder als vom Leben gezeichneter Rentner irgendwo in Florida der Wiederentdeckung durch Rick Rubin oder Jack White entgegendämmern müssen.

Aber nein: Heute geht es Jones besser als je zuvor. Er erfreut sich bester Gesundheit, ist seit über zwei Jahrzehnten mit derselben Frau verheiratet und absolviert weit über hundert Auftritte im Jahr. Darüber hinaus vermarktet er Barbecuesoßen und drei Sorten "George Jones Country Sausage" (natürlich nach eigenem Rezept), mit schillernden Anekdoten aus seinem Leben auf der Verpackung. Er unterhält in Nashville eine Boutique, im Städtchen Enterprise (Alabama) ein Diner, dessen Wände voll sind mit Jones-Memorabilia, den Themenpark "Country Crossings" in Dothan (Alabama) und das Label Bandit Records, auf dem er neben eigenen Aufnahmen "einzigartige interessante Projekte von künstlerischer Integrität" herausbringt, "die sich frei vom Druck der großen Plattenfirmen entfalten" sollen. Und an der "George Jones University" lernen Nachwuchsmusiker die Gepflogenheiten im Musikgeschäft. Wie gesagt: ein Schelmenroman. Ohne Moral.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.