Das Ansingen der Dattelpalme

Die Installation "Tamar" mit Musik von Bach und Stockhausen in Duisburg lässt die Ruhrtriennale ins Esoterische abgleiten. Wie in Trance singen die Akteure auf eine Dattelpalme ein.

"Tamar" erinnert zeitweise an eine Selbsterfahrungsgruppe. Bild: dpa

Seit Gérard Mortier nicht mehr die Geschicke der Ruhrtriennale leitet, sucht das edle Leuchtturm-Festival, das die Kathedralen der Industrie im Struktur gewandelten Ruhrgebiet bespielt, sein programmatisches Heil in hoch aufgehängten Motti.

War es Mortier darum gegangen, im Dialog mit den Spielstätten auf höchstem künstlerischen Niveau nach neuen Wegen zu suchen, indem er die Sparten übergreifende Form der "Kreationen" verfolgte, setzte bereits sein Nachfolger Jürgen Flimm auf inhaltliche Befriedung durchs Motto: Die Konzentration auf die Epochen Romantik, Barock und Mittelalter geriet jedoch unsauber, der experimentelle Charakter des Festivals tendierte zunehmend ins Gediegene.

Nach einer durch den Freitod der Flimm-Nachfolgerin Marie Zimmermann erzwungenen Interimsspielzeit hat nun Willy Decker das Intendantenruder übernommen und sich wiederum einem Motto verschrieben. Und steuert damit in eine Sackgasse.

Denn auf der Suche nach "Urmomenten" soll die Erforschung letzter großer Fragen thematisiert werden. Nichts Geringeres als den Impuls des Religiösen will man aufspüren und die Verbindungen von Kunst und Spiritualität beleuchten. Unter dem Titel "Aufbruch" steht in diesem Jahr die jüdische Religion im Mittelpunkt, Islam und Buddhismus werden folgen. Die Gefahren lauern schon im Konzept, denn das Abgleiten in esoterischen Kitsch und raunende Affirmation ist damit vorprogrammiert. Lediglich eine Podiumsdiskussion verhandelt die Renaissance des Religiösen kritisch, ansonsten bleiben Politik und gesellschaftlicher Diskurs draußen. Mitten in der Krise ist Eskapismus Programm.

Auch unter rein künstlerischen Aspekten fällt die Zwischenbilanz dürftig aus. Schönbergs "Moses und Aron" entwickelte mit Rundumprojektionen zwar spektakuläre Raumwirkung und musikalische Überzeugungskraft, dadurch sind aber die Produktionskosten mit vier Millionen Euro ins Sinnlose explodiert.

Auch "Sing für mich, Tod", eine Musiktheaterproduktion auf einen Text von Albert Ostermaier, kam über artifizielles Konzepttheater zu mystisch dräuender Musik nicht hinaus.

Exemplarisch gescheitert ist nun auch "Tamar", die jüngste Produktion des Festivals. Der als "musikalische Installation" titulierte Abend in der Duisburger Gebläsehalle ist in zwei Teile portioniert. Die erste Hälfte "Der Name Gottes" ist nichts anderes als ein normales Konzert mit vorausgehender Butoh-Tanzeinlage, während in der zweiten Hälfte mit Rupert Hubers "Tamar" ein halbszenisches Ereignis zur Uraufführung kommt.

Der Chorleiter, Komponist, Performancekünstler und Schamane (!) Rupert Huber hat diesen Abend konzipiert, dessen Zusammenstellung sich zunächst aufregend liest: Butoh-Tanz, gefolgt von Karlheinz Stockhausens "Golfstaub" und Bachs doppelchöriger Motette "Singet dem Herrn", nach einer Pause die Uraufführung. Doch der Grundirrtum des Konzepts wurzelt in der Erwartung, spirituelle Erfahrungen der Ausführenden ließen sich auf einer Bühne vermitteln. Das klappt schon im Gotteshaus nur gelegentlich, in der Gebläsehalle bleibt bloß eine befremdliche Esoterikzeremonie übrig.

Das verbindende Element zwischen Stockhausen und Huber ist das intuitive, nicht fest geschriebene Musizieren. Stockhausens "Goldstaub" liegt keine Partitur, sondern lediglich eine Textanweisung zugrunde, die vorgibt, dass die Musiker vor der Aufführung fasten und möglichst wenig denken sollen, um der Transzendenz ansichtig zu werden und entsprechend befreit aufzuspielen. Die vier Musiker um Markus Stockhausen ließen tatsächlich nur gepflegte, dem Tonalen geneigte und wenig aufregende Improvisationen hören.

Exkursion in den Oman

Die Sängerdarsteller von "Tamar" mussten auf Exkursion in den Oman, um sich der namensgebenden Dattelpalme zu widmen. Ziel war, dass jeder Sänger die eigene Lautsprache findet und diese in die nur grob notierte Komposition spontan einbringt. Das klangliche Ergebnis sind irisierende Clusterklänge, lamentierend aufheulende Soli bis hin zum unartikulierten Schrei und raspelnde Zischchöre, begleitet von zirpenden Maultrommeln, Schalenglocken und Perkussion. Wie in Trance stehen die hervorragenden Sänger des ChorWerks Ruhr im Kreis und singen ganz buchstäblich die in der Mitte thronende Dattelpalme an.

Die Klänge schwellen an und ab, es gibt ein alpenländisches Intermezzo, aber zuletzt wird man den Verdacht nicht los, eine in der Bewusstseinserweiterung fortgeschrittene Selbsterfahrungsgruppe zu beobachten. Ein Fremdkörper blieb Bachs Motette, die als reines Klangphänomen interpretiert um all ihre Vitalität, Rhetorik und Expression gebracht war.

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