Sturm und Drang

SCHWEISS UND EKSTASE Alexander Ridha alias Boys Noize ist derzeit der international gefragteste Produzent mit Wohnort Berlin. Seine Klangexperimente trotzen dem verbeamteten Sound aus der Chill-out-Zone

Der Track „Young Love (Topless)“, der zusammen mit Andreas Meid entstand, fand den Weg in einen Coca-Cola-Werbespot

VON THOMAS WINKLER

Berghain? Nein. Panoramabar? Auch nicht. Weekend? War er noch nie. Bar25? Doch, einmal, immerhin. Alexander Ridha ist kein großer Clubgänger. „Ich weiß doch, was die anderen so auflegen“, sagt er, freundlich in die milde Spätsommersonne lächelnd, „und es gibt vielleicht drei, vier DJs, die ich okay finde, aber niemanden, der mich umhaut.“

Man mag das arrogant finden, aber erstens trägt Ridha solche Sätze mit recht selbstverständlichem jugendlichem Charme vor. Und zweitens hat der 27-Jährige allen Grund, selbstbewusst zu sein: Er hat sich in nun schon 13 Jahren im Geschäft nicht nur zu einem der bekanntesten deutschen DJs hochgearbeitet, sondern ist zudem aktuell der international wohl gefragteste Produzent mit Wohnort Berlin.

Sein Studio, ein großer Raum mit abgezogenen Dielen in seiner Altbauwohnung in Mitte, hat schon prominenten Besuch gesehen. Zwischen einer Wand voller Vinyl und der gegenüber liegenden Wand aus Keyboards, Synthesizer, Laptops und Boxen saß zuletzt Gonzalez auf einem eher wackligen Bürostuhl. Der mittlerweile in Paris lebende Peaches-Kumpel war für einige Wochen in seine ehemalige Wahlheimat Berlin zurückgekehrt, um mit Ridha sein im kommenden Jahr erscheinendes Album zu schreiben und aufzunehmen. Auch die Black Eyed Peas oder Kelis engagierten Ridha zuletzt als Produzenten. Bekannt allerdings wurde er vor allem mit Remixen: für Depeche Mode, Justice, Feist, Bloc Party, Snoop Dogg, Kaiser Chiefs oder Royskopp.

„Das Kantige, das Eckige“, sagt Ridha, der in einem Michael-Jackson-T-Shirt steckt, „das macht mir Spaß“

Das Aufpeppen fremder Songs hat er, trotz einiger lukrative Aufträge in den vergangenen anderthalb Jahren, weitgehend aufgegeben, „weil die Arbeit eher undankbar ist“. Was die Auftraggeber vor allem an Ridha schätzten, das kann man heute dafür auf seinen eigenen Tracks hören, die er unter dem Namen Boys Noize veröffentlicht. Es sind, auch auf seinem neuen Album „Power“, radikale Klangexperimente, die sich nicht um die Konventionen des Dancefloors scheren. Statt auf Sicherheit zu gehen, segelt Boys Noize auch auf seinem zweiten Longplayer bisweilen haarscharf an der Grenze zur Nichttanzbarkeit.

Es geht darum, sagt Ridha, „einen eigenen Sound zu entwickeln, weil es doch Schwachsinn ist, das zu machen, was alle anderen auch schon machen“. Sein Sound lebt vor allem von der Überraschung: Ridha stützt sich nicht, wie viele Kollegen, auf ein abgesichertes Klangarsenal, das mit der modernen Software oft schon mitgeliefert wird. Stattdessen arbeitet er Stunden an Modulation und Verfremdung von Sounds, bis das Ausgangssignal nicht mehr wiederzuerkennen ist. „Es ist schwer, was völlig Neues zu machen“, sagt Ridha, „aber in der elektronischen Musik ist es noch möglich.“

Neuigkeitswert erreicht Ridha vor allem durch die gnadenlose Konfrontation eigentlich fremder Stile. Er kombiniert, gern auch in einem einzigen Track, Elemente aus dem klassischen Disco-sound der späten Siebziger mit jaulenden Heavy-Metal-Gitarren aus den Achtzigern, knarzende Industrial-Sounds mit pluckernden Minimal-Rhythmen.

Als wäre das noch nicht genug, fährt durch die widersprüchlichen Stücke auch noch ein Sperrfeuer aus Störgeräuschen. Einziger gemeinsamer Nenner sind die eher antiquiert denn futuristisch klingenden Roboterstimmen, die sich durch die Tracks von „Power“ ziehen. Die Übergänge zwischen den Stilen sind konfrontativ und abrupt, bisweilen auch ruppig, als sollte der Tänzer bewusst vor den Kopf gestoßen werden. „Das Kantige, das Eckige“, sagt Ridha, der in einem Michael-Jackson-T-Shirt steckt, „das macht mir Spaß.“

Bekannt wurde er vor allem mit Remixen: für Depeche Mode, Justice, Feist, Bloc Party, Snoop Dogg, Kaiser Chiefs oder Royskopp

Vor 30 Jahren hätte Ridha wahrscheinlich in einer Punk-Band gespielt. In diesem Leben aber hat er zwar mit dem Schlagzeugspielen begonnen und auch ein paar Spontanauftritte mit eher kurzlebigen Bands absolviert, aber dann doch schnell entdeckt, dass man mit Bits und Bytes allerhand mehr anstellen kann. Mit vierzehn Jahren begann er aufzulegen, mit siebzehn wurde er Resident-DJ im Hamburger La Cage, erste Tracks entstanden unter den Namen 909d1sco oder, zusammen mit Andreas Meid, als Kid Alex. Deren Track „Young Love (Topless)“ fand den Weg in einen Coca-Cola-Werbespot.

Ridhas Produktionen entwickeln einen Sturm und Drang, mitunter auch eine fröhlich vorwärtstreibende Brutalität, wie man sie vielleicht noch von Kollegen wie Justice kennt. Innerhalb einer Dance-Szene aber, deren Publikum zusehends in die Chill-out-Zonen verschwindet und die deshalb vornehmlich elegante, möglichst unaufgeregte und reduzierte, fast schon verbeamtete Sounds kultiviert, setzt Boys Noize weiter trotzig auf Schweiß und Ekstase. Die er allerdings selbst am liebsten nur hinter den Turntables erlebt – und nicht davor.

■ Live am 10. 10. im WMF mit Late of The Pier, Housemeister u. a.